Braunschweiger Region

Embleme in der Lucklumer Gutskirche

————————————————-

————————————————

————————————————

Ein jüdischer Hitlerjunge als Braunschweiger Ehrenbürger

3.2.2023

Nun ist Salomon Perel mit fast 98 Jahren gestorben. Das ist nun wirklich ein „gesegnetes“ Alter. Vor kurzem las ich das Buch „Hitlerjunge Salomon“(bis zu Ende) und wollte darüber vor seinem Tod schon im Internet schreiben. Aber es war mir nicht so wichtig. Jetzt kann er sich nicht mehr wehren oder ärgern. Die Teilnahme an der Anti-AFD-Veranstaltung, sein Redebeitrag vor dem Schloss, hat ihn für mich nicht sympathischer gemacht. So alte Menschen! Wissen die überhaupt noch, wogegen sie demonstrieren? Und wofür? Feind ist Feind. Er hat geliebte Menschen durch die Nazis verloren, aber schreibt in seinem Buch, wie weit „trotzdem“ die Identifikation mit den Idealen des Nationalsozialismus, dieser Bewegung zeitweise ging. Er lügt wenig. Wenn man nur durch Lügen überleben kann, dann kann man den Menschen dafür kaum verachten.

Das ist mir aufgefallen: er schreibt flüssig und man hegt kaum Misstrauen bezüglich des Wahrheitsgehaltes des Berichteten. Juden teile ich grob in zwei Sorten ein: die Wissens- und die Geldjuden. Er gehörte wohl zu den Wissensjuden. Ein neugieriger Mensch, der sich gut anpassen konnte. Lebt es sich in Israel anständiger als in der Diaspora? Wenn man sich für das Heimatland seines Glaubens entscheidet? Oder wenn man sich dafür entscheidet, dann aufgrund einer wahrhaften Beziehung, die man mit anderen Ländern nicht aufbauen kann? Man macht doch immer etwas für etwas. Selbst wenn die Wahrheit durchbrach, hielt seine Tarnung in der Nazizeit, bzw. er musste seine Tarnung nicht in jedem Falle bis zur letzten Konsequenz aufrechterhalten. Wenn er die Wahrheit sagte, dann wurde ihm verziehen. Warum gerade bei uns? Weil hier die Lügen auch durchschaut worden sind? Weil es eigene waren? Er hegte keinen Groll gegenüber denen, die ihn auch nach dem 2. Weltkrieg links liegen ließen(oder erst dann). In seinem Wesen könnte eine gewisse Unbekümmertheit und Unschuld gewesen sein. Wenn Juden nicht lügen, dann gehe ich dem immer weiter nach. Ohne jedoch (tiefe) Sympathie zu empfinden.

Zwei Sachen sind mir besonders in Erinnerung geblieben. Die Mitteilung der einen Sache ist nicht so wichtig. Die andere Sache betrifft die Anpassungsfähigkeit in konkreten Situationen und sein Herumirren in Łódź. Den Film zum Buch habe ich nicht gesehen. Ich habe das Buch auch wegen regionaler Bezüge gelesen. Von Verwandten in der Braunschweiger Region wurde nichts erwähnt. Aber komisch, eine Tochter einer deutschen Flüchtlingsfamilie aus der Ukraine lud den Hitlerjungen in genau der polnischen Region zu einer Familienfeier ein, wo die Familie meiner Mutter von den Nazis angesiedelt worden ist, bevor sie auch von dort wieder vertrieben worden sind. Allerdings in der Stadt und nicht auf dem Land, weswegen auch hier keine Verwandten gemeint sein können. Allerdings durchaus Bessaraber. Er war dort der Hitlerjunge. Diesmal log er wirklich. Er war dort wirklich der stolze deutsche Hitlerjunge, der als solcher imponieren wollte. Nicht nur aus Selbstschutz. Die Beziehung war noch nicht weit gediehen. Ich finde Köpenickiaden eigentlich immer lustig. Aber nicht, um Mädchen/Frauen zu kriegen. Wer lügt, um eine (bestimmte) Partnerin zu bekommen, den verachte ich. Außer man weiß voneinander, dass man lügt(zusammen). Miteinander üben, sich besser anzulügen.

Ich frage mich, ob Bessaraber wirklich so dumm waren. Ich kann mich noch erinnern, wie mein Großvater(ein Bauer aus Bessarabien) abschätzig über diejenigen sprach, die sich so leicht hinters Licht führen lassen. Und an sein Solschenizyn-Buch, das er gelesen hatte wie einer, der genau wusste, worum es bei der Handlung geht. Und wieso siedelte sich meine Familie mütterlicherseits dann in der früheren Heimat des Hitlerjungen Perel an? Kannten sich die Bessaraber untereinander und bekamen mit, dass, wenn ein Jude sich schon so gut verstellen kann und als heldenhafter deutscher Hitlerjunge in Braunschweig durchgeht, dann können die Bessaraber das vielleicht auch, ohne ihre Identität aufgeben und ihre Eigenheit preisgeben zu müssen? In Wirklichkeit war es vielleicht gerade umgekehrt.

Das Herumirren in Region und Land, wie es Perel bezüglich der Suche nach seiner Familie und der wiederholten Durchquerung der abgesperrten Zone in Łódź beschreibt, kenne ich irgendwoher. Um hinter den Felsen zu kommen, muss man den Haken weit auswerfen. Wie lautet der erste Artikel des Nationalstaatsgesetzes des Staates Israel: „Das Land Israel, in dem der Staat Israel gegründet wurde, ist die historische Heimat des jüdischen Volkes. Dieser Staat Israel ist der Nationalstaat des jüdischen Volkes, in dem es sein Recht auf nationale, kulturelle, historische und religiöse Selbstbestimmung ausübt. Das Recht auf nationale Selbstbestimmung ist im Staat Israel einzigartig für das jüdische Volk“. Darauf mussten die Juden lange warten. Und wir Deutsche nach 1945? „Dieser Staat BRD ist der Nationalstaat des deutschen Volkes, in dem es sein Recht auf nationale, kulturelle, historische und religiöse Selbstbestimmung ausübt“. Ich könnte es vielleicht noch besser formulieren, aber wie groß wäre der Aufschrei auch unter den deutschen Juden, wenn der deutsche Staat sich wieder seiner Verantwortung gegenüber dem deutschen Volk in der gleichen unbedingten Weise verfassungsmäßig stellen würde?!! Würde der Bundespräsident dann auch eine Kippa bei fast jedem seiner Auftritte als einzigen amtsmäßigen Leistungsnachweis tragen?

Na, so wichtig war dieser Text jetzt wieder doch nicht.