Film(TV)

Die Serie “Breaking Bad” von Vince Gilligan

Die ersten zwei Staffeln der us-amerikanischen Serie “Breaking Bad” wurden auf Arte ausgestrahlt. Der letzte Teil der zweiten Staffel lief gestern. Ich wollte keinen Teil verpassen, obwohl sie einige Hänger hatte. Thematisch kontrastiert sie Familiennormalität und Drogenkriminalität auf nicht ganz glaubwürdige Weise. Der Bruch zwischen beiden wurde “geschient” durch die tödliche Erkrankung des Chemielehrers Walter White sr., die sich dann doch nicht als tödlich herausstellen wird. Er will seine letzte Zeit noch dafür nutzen, durch  verborgene Drogenkriminalität die pekuniäre Situation seiner Familie zu verbessern. Die Serie wurde entworfen von Vince Gilligan, der ehemals für die “Akte-X”-Serie Drehbücher schrieb und einen gewissen Sinn für den gezielten Einsatz von drastischen Elementen in der Dramaturgie besitzt, bei der feinen Charakterzeichnung dafür aber einspart. Die Charaktere werden aber sehr lebendig durch ihre realistische Anlage (in einem surrealen Kontext) und die guten schauspielerischen Leistungen. Der Held der Serie macht uns explizit zum Komplizen seiner Taten. Wir sehen zu, wie er seinen  ehemaligen Schüler und Drogenkriminellen Jesse Pinkman zum “Kugelfisch” aufblasen will, damit er Absatzterritorium gegen Schwerstkriminelle behauptet, und um Jesse dann wieder auf den rechten Weg zurückzubringen, begibt Walter sr. sich in seine Unterkunft und sieht zu, wie die Freundin von dem schlafenden Jesse neben diesem an ihrer Kotze erstickt. Sie hatte erfolgreich Jesses Geldanteil an einem Deal eingefordert und gedroht, Walter sr. ansonsten auffliegen zu lassen. Die Serie fing mit ihren ersten beiden Teilen furios an, zog uns dann in Familiengeschichten hinein, in denen die Solidarität immer wieder vom schwarzen Loch der Krankheitsausrede(?) und dem entsprechenden Lügengebäude geschluckt wurde, mit dem Walter sr. seine drogenkriminellen Machenschaften verbergen wollte. Am Ende der zweiten Staffel scheint ihm das zum Verhängnis zu werden, da seine Frau Skylar nun genug Beweise für seine Lügen gefunden hat und sich deshalb trennen will. Produzieren und absetzen tun Walter sr., der einen behinderten Sohn Walter jr. hat und dem er in einer Sequenz solange Alkohol einschenkt bis dieser sich übergeben muss, und Jesse  Methamphetamin, eine Droge, die zu schwersten Persönlichkeitsstörungen führt und die man eigentlich nicht zur Ausstattung eines Films mit chemischem Glamour-Chic missbrauchen sollte. Die Opfer dieser Droge kommen denn auch nur am Rande als Ausstattungsmerkmale vor. Sie würden wohl dem Geldverdienen der Serienproduzenten eher im Wege stehen, könnte man meinen. Philosophische Aspekte kommen auch nur am Rande, eher sporadisch und  alibimäßig vor: in einer Rückblende wird Walter sr. in jüngeren Jahren an der Uni gezeigt, wie er  mit einer vertrauten Bekannten die chemischen Bestandteile des menschlichen Körpers auflistet  und auf einen fehlenden Rest stößt, der vielleicht die “Seele” sein könnte. Diesen fehlenden Rest gibt es in der Serie wie gesagt auch und der blinde Fleck für die Seriendrogentäterseriedroge sind die Serienzuschauer als Opfer einer unterhaltsam gemachten Serie. Sie hat zugegebenermaßen nicht die Haupt- oder Nebenwirkungen wie Meth, aber sollte sie wohl haben. Wie sollte es sonst zu einem Rausch kommen? Wenn Arte die dritte Staffel zeigen würde, würde ich mir wieder den Biedermann und Drogenbrenner Walter sr. mit seinen familiären und kriminellen Problemen ansehen. Wenn  ich wieder tatenlos zusehe, wie Walter sr. tatenlos zusieht, wie ein “Charakter” stirbt, dann werde ich die “Auferstehung spüren”. Spuren und spüren, darum geht es hier. Ich kenne den Fortgang der Serie noch nicht, da es aber sogar noch eine vierte Staffel geben wird, wird Walter sr. wohl noch gebraucht, obwohl nach der zweiten Staffel die einzig logische Wendung sein müsste, dass Jesse ihn tötet, der Zauberlehrling  den “Herrscher über die böse Chemie”.

Yorkshire Killer 1974

Gestern strahlte das Erste im Nachtprogramm den ersten Teil der britischen TV-Trilogie “Red Riding” aus dem Jahre 2009 unter dem Titel “Yorkshire Killer 1974″ aus. Die folgenden Teile der Trilogie werden an den kommenden beiden Sonntagen (9.1.2011 und 16.1.2011) gesendet. Die Krimi-Vorlage stammt von David Peace. Beim ersten Teil führte Julian Jarrold Regie. Es geht im ersten Teil um die Aufklärung von Kindervergewaltigungen und -morden. Der junge Reporter Eddie Dunford versucht Licht ins Dickicht zu bringen und “zerschellt” an der brutalen Wirklichkeit einer amoralischen, ultra-repressiven Urbanität. Die örtliche Polizei erledigt Schmutzarbeiten für den Baulöwen John Dawson. Er ist die”amoralische Institution” in diesem Film, der für Kindermissbrauch und Kindermorde verantwortlich ist und zur Vertuschung weitere Morde begehen lässt. Der Film kann die Balance zwischen Distanz und Engagement nicht ganz halten. Das Zeitkolorit der englischen 70er mit ihrer bescheidenen Eleganz fängt er ganz gut ein (incl. King Crimson-Musik als Zimmerbeschallung eines aufstrebenden Reporters). Auch die Gewaltszenen sind eindringlich und schmerzverhärtet in Szene gesetzt.  Aber der Ohnmacht des Menschen zuzusehen ist nur von begrenztem pädagogischen Wert. Denn diese Gewalt gab es und gibt es ja tatsächlich und eine bloße mediale Verdopplung dieser Gewalt reicht nicht aus. Mit “Realität trumpfen” macht noch keine Dramaturgie aus und die Mittel wären wahrscheinlich besser eingesetzt, wenn eine auf gleichem Niveau inszenierte Komödie ihre heilendere Wirkung entfalten könnte. Dieser Film ist eine Tragödie, in der das verletzliche Individuum in Nahaufnahmen in einigen Szenen mit seinen Hauttönen in der Umarmung oder in der Hinwendung den Bildrahmen fast ganz ausfüllt – als ob das Licht nur so weit reicht wie in der Abstrahlung von der Hautoberfläche. Und dieser Film ist auch ein Rachestück, weil der Baulöwe zuletzt vom jungen Reporter niedergeschossen wird. Dunford verabschiedet sich dann vom Schauplatz seiner Rache. Als ihn  die Polizei verfolgt, dreht er mit seinem Wagen um – abermals den Kampf aufnehmend – und lässt es wohl zu einer Kollision kommen – Abspann. Es ist nicht ganz glaubwürdig, dass ein aufstrebender Reporter nicht mehr Mittel zur Bekämpfung der Ungerechtigkeit mit Hilfe der Öffentlichkeit haben sollte. Er sollte über die Verhältnisse seiner Stadt hinausschauen können und das Netz erst ausfindig machen, das er zerstören will, bevor er von ihm eingefangen wird. Der Baulöwe Dawson sagt dann auch vielleicht die Wahrheit, wenn er sagt, dass das (auch für ihn wichtigste) Körperteil den Reporter in seine Probleme gebracht hätte. Dunford hat ein Liebesverhältnis mit einem Opfer von Dawson. Dadurch wird die eigene Verletzlichkeit des sich Engagierenden noch einmal potenziert und es bleibt kaum ein Ausweg. Die Bilder und das Tempo des Filmes sind gut. Die Figuren besitzen aber gegenüber dem Geschehen, in das sie eingebunden sind, zuviel Freiraum, der mit Willkür ausgefüllt wird. Es stehen auch nicht die Gewalt an sich und damit auch die ermordeten Kinder im Vordergrund, sondern das Engagement eines ambitionierten Reporters, der nicht die nötige Distanz zum Verbrecher Dawson hält. Ich werde mir auch die nächsten beiden Teile ansehen. Die Mängel im Erzählstil sind aber auffällig. Filme werden meist dadurch authentisch, dass man etwas geschehen lässt. Das können die Franzosen tatsächlich oft besser als die Briten. In diesem Film wird zu sehr einem Handlungsfaden gefolgt. Dann ist es natürlich konsequent, dass der Protagonist nach genommener Rache den Crash mit der korrupten Ordnungsmacht sucht.

Breaking Bad – die dritte Staffel

Die dritte Staffel der us-amerikanischen satirischen Action-Drama-Serie “Breaking Bad” strahlt Arte wohl erst Mitte Oktober aus. Aber die DVD ist schon einige Zeit erhältlich. Ich kann es gleich vorwegnehmen: wenn man erwartet, dass diese Staffel die anderen beiden übertrifft, wird man enttäuscht sein. Sie kann deren Webfehler nicht ausbügeln, die hier gerade erst sichtbar gemacht werden. Es hätte keine dritte Staffel gebraucht, um Webfehler in der Handlungslogik durch die Zunahme der Teppichlänge wettzumachen. Ich diagnostiziere: verzweifeltes Festhalten an einem durchsichtig gewordenen, fahlen Handlungsstrang. Die Figuren verkörpern in ihrer zunehmenden Starrheit teilweise nur das schlechte Gewissen von streikender Drehbuchautorenintelligenz. Spätestens wenn die Fliege im Labor gejagt wird, ist klar, dass der Story die handlungsführende Teleologie fehlt. Dann erinnert man sich wehmütig an die seltene leichte Ironie einiger von Gilligan verzapften und gegen den Strich gebürsteten Akte-X-Folgen. Am ehesten wird diese Staffel wohl jene Fans begeistern, die an der Konservierung ihrer Mumienintelligenz interessiert sind. Die Schauspieler tun mir fast leid. Ihnen wird nicht erlaubt, ihre Figuren gemäß ihrer Anlage zu Ende zu spielen. Die Story nimmt Wendungen, die gegen die Besetzung der Figuren gerichtet zu sein scheinen (abzulesen beispielhaft an der Figur der Skyler White). Nur Aaron Paul spielt dagegen an, obwohl auch seine Figur nicht mehr Glaubwürdigkeit aufweisen kann. Wenn sich aber unmerklich das Interesse von den Figuren zu den Schauspielern verlagert, dann ist das ein Beleg für die Verwüstung einer sich selbst überlassenen Storylandschaft.

Breaking Bad – die vierte Staffel

Mit der vierten Staffel ist “Breaking Bad” endgültig beim Trash angekommen, was der Serie aber gut tut.  Die Logik der Handlungsstränge wird zunehmend egal. Man hat sich von ihr abgekoppelt. Die Waschstraße als Geldwäscheanlage kommt nur kursorisch innerhalb der gesamten Handlungslogik vor. Die unabsichtliche Entsorgung des ehemaligen Arbeitgebers von Skyler White wird auch eher nebenbei behandelt. So fügt man der Story ein paar ökonomische oder skurrile Randnotizen hinzu.

Der wesentliche Dreh der Story ist die ambivalente Intimisierung der Beziehung von Jesse Pinkman zu dem Mann für das Grobe (“Mike”) und ihrem gemeinsamen Arbeitgeber Gus Fring. Das wird dadurch erkauft, dass Aaron Paul seinen Charakter Jesse Pinkman zunehmend wie ein Nervenbündel spielt.

Man kann an der vierten Staffel als Trash Spaß haben. Der Erzählstil ist entsprechend leichtfüßiger und weniger aufdringlich als bei den ersten drei Staffeln, wo immer das Anschließen an das vorherige Spannungsmoment fast zwanghaft stattfand. Die vierte Staffel ist maniefreier. Ihr Ende ist dann wirklich absoluter Trash, sodass man von der fünften Staffel erwartet, dass der coole Hähnchenbrater-Obergangster in Terminator-Manier wieder ….. (will nicht alles verraten).

Die Ausschaltung seines Konkurrenten war nicht so einfallsreich. Gift spielt eine große Rolle in der vierten Staffel. Meth wird eher als Industrieprodukt vorgeführt. Daneben gibt es noch die natürlichen und herbeigeführten Vergiftungen zu Nichtrauschzwecken, was eher etwas langweilt. Nicht sehr innovativ.

Der beste Schauspieler der vierten Staffel verkörpert die Hauptfigur Walter White Sr.  . Wie er seiner Figur ihre Obsessionen implantiert, ist schon recht lustig. Aaron Paul spielt seine Figur dagegen etwas “durch den Wind”.

The Wire – Die erste Staffel

Die us-amerikanische Fernsehserie “The Wire” lief in Deutschland nur auf dem Pay-TV-Sender FOX Channel. Ich kann mir Pay-TV nicht leisten. Ich habe mir die erste Staffel auf ausgeliehenen DVDs angeguckt. Die Serie war bis zuletzt spannend. Zum Schluss wird sich etwas zuwenig Mühe mit der Story gegeben. Man hatte den Fokus  in der Mitte der ersten Staffel auf die verfeinerten Ermittlungsmethoden gelegt und zum Schluss werden die Dealer, Mörder und der Hauptdrahtzieher dann kurz und bündig zu unterschiedlichen Strafen verknackt. Da hätte man dann noch etwas mehr draus machen können. Stattdessen wird kurz vor dem Ende noch eine Polizistin unnötig in Gefahr gebracht und schwer verletzt. Dann wird es auf einmal emotional. Und kurz darauf ist Schluß.

Die Kohäsion des Figurenensembles ist die größte Stärke der Serie. Die unterschiedlichen Figuren werden mit einigen Ausnahmen (u.a. “Wallace”,  Pearlman, Phelan) gut herausgearbeitet. Das hebt die Serie eindeutig aus dem Krimiserieneinerlei heraus. Die Typen sind unterschiedlich und prallen in ihrer Unterschiedlichkeit aufeinander. Diese Kollisionen werden weiträumig auch in ihren sozialen Dimensionen nachverfolgt, wenn das Funktionale der Polizeiarbeit und die “Nigger”-Solidarität als die abgefeimte Solidarität unter farbigen Kriminellen im Vordergrund stehen. Das findet man in Serien selten.

Mit den Polizistencharakteren hat die Serie weniger Probleme als mit denen der farbigen Kriminellen. Die Charakterzeichnung der farbigen Kriminellen ist fragmentarischer und weniger konsistent. Obwohl man sich bei den farbigen Kriminellen ähnlich viel Mühe bei der Schärfe der Charakterzeichnung gegeben hat, sind die Charaktere des Polizisten-Soziotops insgesamt überzeugender getroffen.

Die Serie erhebt auch einen Anspruch auf die realistische Darstellung der Verhältnisse. Das finde ich vom Ansatz her sympathisch. Man hat auch keine Angst, die unterschiedlich interessanten Polizeitätigkeiten gegeneinander zu stellen. Die Figuren werden dadurch aber teilweise in ihre eigenen Tätigkeitsfelder “verbannt”, was mit einer Stereotypisierung verbunden ist, der die Serie nicht ganz entgehen kann. Als diese Stereotypsierung dann auf einmal aufgebrochen werden soll, wird das Leben einer aufgestylten Figur in Gefahr gebracht.

Auffällig an der Serie sind die anachronistischen Flairs. Die Story spielt im Jahre 2002, doch die Ermittler quälen sich noch mit Schreibmaschinen und anderen “Kinderkrankheiten” des vordigitalen Zeitalters herum. Viel Langeweile und Ineffektivität erinnern eher an die späten achtziger Jahre. Aus dieser Zeit holte sich der Schöpfer dieser Serie auch seine meisten Inspirationen und Anregungen, da er zu der Zeit die Polizeiarbeit hautnah mitverfolgen durfte. Auch die Atmosphäre unter den Teengangstern ist eher rustikal-jovial 80er-Jahre-mäßig.

Den Erfolg bringen erst professionelle Abhörmaßnahmen und das Beeperclonen. In der Polizeihierarchie gibt es dann immer den Konflikt zwischen kurzfristigen Geländegewinnen gegenüber dem Verbrechen, durch die man der Öffentlichkeit Erfolge vorzeigen kann, und der nachhaltigen Verbrechensbekämpfung, für die man einen längeren Atem braucht, um genügend Beweise zu sammeln, mit denen man auch die Hintermänner hinter Gitter bringen kann. Auch für die Dramaturgie stellt der Aufschub des Zugriffs eine Herausforderung dar.

Der gesamte Aufbau der Dramaturgie der Serie ist nicht so gelungen wie die der einzelnen Folgen. Mitten auf dem Hauptdrogenumschlagsplatz für die kleineren Deals steht ein Sofa. An diesem Sofa muss sich die Dramaturgie oft festhalten. Ein Möbelstück kann aber keine Dramaturgie ersetzen.

Schwach wird die Serie dann, wenn unterschiedliche Grade der Intimität dargestellt werden sollen. Der Umgangston unter den Bullen ist rauh bis zotig. Die einzige Polizistin im Team ist eine Lesbe. Die kann das wohl vertragen (weil sie selbst ein halber Mann ist?). Das Zotige ist gewiss nicht die Stärke dieser Serie. Bei vielen Anzüglichkeiten wird die Serie dann geradezu peinlich. Weil sie einfach nicht lustig sind.

Unter den Kriminellen gibt es auch Homosexuelle. Die Homosexualität wird als gleichwertig dargestellt. Hier werden die Kollisionen nur engräumig oder überhaupt nicht weiterverfolgt.

Ein paar Lebensweisheiten und ein paar pfundige Sprüche hat der Film aber parat. Wenn er Action und Aufklärung noch ein bisschen besser balanciert hätte, könnte man fast von einem Serien-Klassiker sprechen. An der Flüssigkeit des Erzählstils gibt es jedenfalls kaum etwas auszusetzen. Die Serie bekommt jene Balance nicht ganz (aber doch schon recht gut) in den Griff, weil die Ermittlungen immer näher an die Drogendelikte heranrücken, die aber nur in ihrer alltäglichen Routine verharren. Wenn die Polizei erst einmal die Kommunikationsströme überwachen kann, sind die Kriminellen schon erledigt. Sie stellen sich zu langsam darauf ein, obwohl doch schon ein halbes Unterweltimperium existiert –  mit vielfachen Geldströmen (inkl. Politikerkorruption).

Die Ermittler sitzen auch oft zu schnell in ihren Wagen bzw. auf ihren Beobachtungsposten. Die Mühe, die sich der Film bei der Schilderung der technischen und der persönlichen Seite der Polizeiarbeit gibt, lässt der Film dann vermissen, wenn nach den Umständen der Kriminalitätsentstehung gefragt werden müsste. Alle Kriminellen spielen nur das “Spiel” . Selbst die Hinrichtung von Freunden wird einfach durchgeführt. Es gibt einfach die Regeln des Staates, die zur Geltung gebracht werden müssen, und es gibt die Regeln der Bosse (in der zweiten Gangsterdynastiegeneration), die jenseits des Rechts das Leben zum Spiel gemacht haben, wo der Profit der Mächtigen mehr zählt als das Leben eines Freundes. Auch die Drogenkunden befinden sich in einem Spiel. Ist es das Gleiche? Auch sie klauen, um ihren Rausch bezahlen zu können. Ihnen ist das Spiel auch wichtiger als ihr eigenes Leben.

Aber wie kann es überhaupt dahin kommen? Dass Kriminelle und Polizisten in der gleichen Gesellschaft leben, vergisst die Serie allzuoft. Die Grenzen und Brüche in den Perspektiven werden stattdessen durch zu fluxe Verbrüderungen gekittet, die kaum glaubhaft sind. Die Figur von Omar  ist kaum glaubhaft, dem die Hauptfigur des McNulty, der auch sensible Seiten hat, Glück wünscht. Ein sensibler Bulle wünscht einem harten, schwarzen, schwulen Desperado-Gangster Glück bei seiner Karriere in der Drogenkriminellenszene? Welcher Polizist führt so selbstvergessen seinen Beruf aus? Inkonsistenzen gehören zu einer realistischen Persönlichkeitsschilderung durchaus dazu. Personen offenbaren auch im wirklichen Leben oft neue Seiten. Aber  hier  wurde sicherlich eine Grenze überschritten. Auch die Stripbarangestellte, Orlando und Wallace wechseln zu schnell die Seiten.

Obwohl auch die Opferseite und die Kriminellenseite beleuchtet werden, fehlt hier etwas die Ernsthaftigkeit, die die Serie zu einer großen Serie machen würde. Aber “The Wire” ist eine der besseren Serien dieses Jahrtausends.

The Wire – Die zweite Staffel

Die zweite Staffel ist wesentlicher schwächer als die erste, obwohl die Ansprüche an den Realismus der Darstellung und an die Komplexität der Story und der Charaktere kaum gesunken sind. Die Trauben hängen dieses Mal aber etwas zu hoch. In der ersten Staffel gab es nur 2 1/2 Milieus zu behandeln, die durch die Kriminalität miteinander verbunden waren. Die Polizisten, die farbigen Kriminellen und auch ein bisschen noch das Opfer-Milieu, das mit dem Kriminellen-Milieu einige Überschneidungen aufwies. In der zweiten Staffel kommt noch das Hafenarbeiter-Milieu hinzu. Außerdem werden noch einige ethnische Differenzierungen vorgenommen. Ein polnischer Polizist in leitender Funktion führt einen Privatkrieg gegen einen polnischen Hafengewerkschaftler in leitender Funktion. Neben den schwarzen Drogenkriminellen, die die “Ware” zu den Endverbrauchern bringen, stehen nun weiße Kriminelle im Vordergrund, die die Ware ins Land schmuggeln und dafür den Containerhafen und die Hilfe von Gewerkschaftlern nutzen. Südosteuropäer sind wohl die Hauptdrahtzieher. Die zweite Staffel will auf zu vielen Hochzeiten gleichzeitig tanzen.

Was die Figuren und die Charaktere angeht, gibt es in der zweiten Staffel mehr Masse als Klasse.  Die Kohäsion des Figurenensembles, die die größte Stärke der ersten Staffel war, kann so nicht mehr erreicht werden. Wichtige Figuren werden abgenutzt oder an den Rand gedrängt. Die Figuren dürfen sich dagegen ein bisschen auflehnen – gegen die Erzählstrategien (z.B. die Figur des “Ellis Carver”)! Es reicht nicht, die Geschichte um der Geschichte willen zu erzählen. Die Polizei muss in der Realität Fälle aufklären. Eine lebendige Geschichte braucht Figuren, die die Handlung tragen, durch die wir sie nachvollziehen können. Der Zuschauer muss virtuell partizipieren können. Am Besten sollte er die Geschichte nacherzählen können, als ob er selbst mit dabei gewesen wäre. Der Zuschauer wird aber nur geringe Lust verspüren, diese Geschichte nachzuerzählen, weil nun fast alle Charaktere nur fragmentarisch behandelt werden können.

Die Figur des farbigen Kriminellen “D’Angelo Barksdale”, mit dessen Charakterzeichnung sich die erste Staffel viel Mühe gab, die trotzdem fragmentarisch blieb, wird früh in der zweiten Staffel einfach entsorgt, nachdem er Gespür für Literarisches entwickelt hatte, als ob die Serie damit ihre Ohnmacht gegenüber ihren eigenen Ansprüchen mitteilen will. Wenn ein Charakter etwas Eigenes dem Realismus der Verhältnisse entgegenzusetzen hat, wird der Mord an ihm als Selbstmord getarnt.

Die schauspielerischen Stile sind in der zweiten Staffel auch sehr unterschiedlich. Es gibt einen nervigen Charakter, der nervig gespielt wird(“Ziggy”), es gibt seinen mürrisch-impulsiven Cousin, der aggressiv gespielt wird(“Nick”). Hat es etwas damit zu tun, dass sie polnischer Herkunft sein sollen? Die Polen, die ich kennengelernt habe, waren eher sanftmütig und locker gegenüber Autoritäten eingestellt. Sie nahmen das Leben nicht so ernst. Aber da gibt es ja auch verschiedene Typen. Es fehlt der zweiten Staffel bei vielen Erzählsträngen und Charakterdarstellungen die Fähigkeit der “Selbstbeobachtung”. Die Figuren wandeln selbstherrlich ihren eigenen Konstruktionen hinterher.

Die erste Staffel hatte es im gewissen Sinne auch leichter. Wenn die Figuren klar herausgearbeitet sind, können ihre ersten Kollisionen darauf aufbauen und sehr ursprünglich gestaltet werden. In der zweiten Staffel müssten dann auch ihre Entwicklungen nachgezeichnet werden. Das schafft die zweite Staffel nur begrenzt oder gar nicht. Stattdessen wird gleich ein ganz neuer Verbrechensherd in den Fokus genommen, nachdem die polizeiliche Untersuchungseinheit auseinander gehen musste. Beteiligte dieser Untersuchungseinheit finden sich dann wieder in einer neuen zusammen. Dieses Sich-Wiederzusammenfinden ähnelt etwas dem orphischen Zurückschauen. Die Ausgangssituation für die Gesamtdramaturgie der zweiten Staffel wurde nicht gut gewählt. Auch die Dramaturgie der einzelnen Folgen ist deshalb nicht so gut wie bei der ersten Staffel, bei der die Gesamtdramaturgie erst am Ende ihren Offenbarungseid leisten musste.

Muss man sich diese Serie also ansehen? Es gibt weniger Gründe hierfür als bei der ersten Staffel. Fans der ersten Staffel werden die zweite  Staffel wohl auch nicht hassen. Ansonsten glaube ich nicht, dass das Zuschauen bei der zweiten Staffel ein Muss ist.

Für alle Fälle Fitz (“Cracker”) – Die erste und zweite Staffel (1993/1994)

Die Fitz-Staffeln stehen im jahrzehnteübergreifenden Serien-Vergleich  gut da. Sie sind von überdurchschnittlicher Qualität. Sie zeichnet ein Anspruch an Story und Charaktere aus, der nicht häufig in Fernsehserien zu finden ist. Es wurden drei Staffeln mit je drei Teilen gesendet. Ich kenne zur Zeit nur die ersten beiden Staffeln. Die jeweils letzten Teile der beiden Staffeln haben mich überzeugt (“One Day a Lemming Will Fly”, “Men Should Weep”).  Beide Teile sind besser als jeder Teil der ersten vier “Breaking Bad”-Staffeln und besser als jeder Teil der ersten beiden “The Wire”-Staffeln. Meine absolute Lieblingsfolge ist ”One Day a Lemming Will Fly”. Mir gefällt schon der Titel. Wenn man den Durchschnitt der beiden Staffeln betrachtet, fällt die Qualität aber mit der zweiten Staffel etwas ab, obwohl Robbie Coltrane die Rolle des Dr. Eddie „Fitz“ Fitzgerald immer selbstverständlicher verkörpert.

Der  Hauptcharakter Fitz ist kein Über-Sympath und labert viel. Er ist ein Berufslaberer und seine Klienten (die in Mord- und anderen Kriminalfällen Verdächtigen) müssen sich das gefallen lassen. Fitz ist ein Zyniker, von sich selbst überzeugt und beruflich erfolgreich. Er ist ein Psychologe, der Täterprofile erstellt und die Verdächtigen auch ins Verhör nimmt. Seine familiären Verhältnisse sind nicht unwichtig in dieser Serie. Man bekommt den ganzen Charakter präsentiert. Die Charaktere der Polizisten, von Fitz und seiner  Familie sind größtenteils glaubwürdig geschildert und die Dynamik ihrer Beziehungen macht einen Teil des Reizes dieser Serie aus.

1.Teil: “Mord ohne Erinnerung” (“The Mad Woman in the Attic”)

Was mir am besten am ersten Teil gefällt, ist die Turbulenz, in die die Handlung getaucht wird. Das soziale Feld darf in seinem Reichtum bzw. dem fiktionalen Nettobetrag davon vorkommen. Auf den Interaktionen kann sich der Ruß des Alltags niederlegen. der durch die Bewegungen der Figurenleiber wieder abgeworfen wird. Soziale Beziehungen werden in ihrer Geschwindigkeit realitätsgetreu wiedergegeben. Das Soziale ist hier nie kreisrund, mit einem eindeutigen Schwerpunkt in seiner imaginären Mitte, sondern es eiert und kann somit schwer zu einem fixierten Ziel hingerollt werden.

Ansonsten ist der erste Teil in vielerlei Hinsicht Trash. In der ersten Folge ist die Distanz zur Hauptfigur noch wenig entwickelt. Das soll sich im Laufe der Serie bessern. Besonders in der ersten Folge wird diese Figur von Coltrane flapsig und (sorry!) dickwanstig gespielt, sodass das Herz der Figur unter dem Gewicht seiner Eingebildetheit nur schwach schlagen kann. Bücher werden von dem Profiler-Psychologen geringer geschätzt als das Wissen um die eigenen Abgründe. Jeder ist ein potentieller Mörder (oder auch: Vergewaltiger; siehe auch sechste Folge).  So wird gleich eine universelle Identifikation zwischen allen Beteiligten gestiftet. Nur eine Figur fällt heraus: der Hauptverdächtige, der blutverschmiert an den Zuggleisen der Handlung gefunden wurde, der Latein beherrscht und die Zucht der Askese dem Trubel der Welt vorzieht. Diese Figur befindet sich am Rande des blinden Fleckes jener Turbulenz, in der der wirkliche Täter seine Opfer ermorden konnte.

Auf den wirklichen Täter kommt es dann allerdings weniger an. Er ist als das eher banale Böse, dem die Schamhaare zu früh sprossen, so unbedeutend wie wir als die vielleicht eher banalen guten Teile einer Masse ohne Eigengewicht, die sich nur ungenügend miteinander auskennen bzw. beschäftigen. Das kann dieser Serienstart aus dem Jahre 1993 nicht nachholen. Er ist nur einer der vielen Vignetten des sozialen Alltagsverstandes, wenn er in seiner Trägheit zusammensackt wie eine lang angeschaute baufällige Ruine einer trostlosen Kindheit. “England lebt- noch!”

2.Teil: “Mörderische Liebe” (“To Say I Love You”)

In dieser Folge steckt mehr Gefühl als in der ersten Folge, aber dafür auch mehr Gefühlsduselei. Die Motivationen der beiden Täter sind nicht glaubhaft. Kindischer Trotz kann nicht töten. Hier gibt es eine Mischung zwischen dem Versuch genauer Charakterdarstellung, dem man zumindest keine große Unehrlichkeit vorwerfen kann, und ordinärer Funktionalisierung der Figuren für ihre Bestrafung. Die Beziehungen der Charaktere sind in dieser Folge mindestens genauso wichtig wie die Charaktere selber und diese Beziehungen gerinnen zur Story. Alle Beziehungen münden in die Beziehung des Zuschauers zum Film. Der Regisseur ist der erste Zuschauer. Fitz wird hier besser gespielt als in der ersten Folge, wo er den Pseudo-Rebellen geben soll. Er wird hier komplexer dargestellt. Die Story der zweiten Folge hat ein paar mehr Wendungen, in denen die Figur menschlich authentischer auftritt. Das Hauptproblem sind die Figuren des Täterpaares. Ein bisschen Psychologie soll die Motivation der Täterin erklären und der Mittäter ist ein Stotterer, der nur von ihr keine Zurückweisung erfährt und nichts außer ihr zu verlieren hat. Auch das Töten soll so kein Problem sein. Das geht über den Background unterklassiger Serienkrimis im Grunde nicht hinaus, auch wenn der Entwicklung der Story und den Interaktionen zwischen den Figuren hier mehr Raum gelassen wird.

3.Teil: “Tod eines Knaben” (“One Day a Lemming Will Fly”)

Schon der Titel dieser Folge zeigt Niveau. Dieser Teil ist besser als die ersten beiden. Charaktere haben hier Schwächen, über die nicht einfach hinweggegangen wird und wegen ihrer Schwächen werden sie auch nicht an die Wand gestellt, sondern gerade aufgrund ihrer Schwächen kann die Identifikation mit ihnen zunehmen. Die Handlung findet hier nicht für die Pointe statt, sondern lädt die Zuschauer zur Selbstreflexion ein. Dementsprechend ist auch das Ende gestaltet. Fitz kommt mit seinen Projektionen diesmal nicht davon, sondern die Realität stellt sich ihm in der Gestalt eines (wahrscheinlich) unschuldig Geständigen in die Quere. Die Stärke dieser Serie war schon in den ersten beiden Teilen die Einbettung der Handlung in ein turbulentes Figurengeschehen. In den ersten beiden Teilen fand die Handlung nicht den Weg hindurch: zuviel Logik blieb auf der Strecke. In diesem Teil schmiegen sich Handlung und Logik dagegen an die Figurenumstände. Die Frau eines leitenden Bullen ist auch in anderen Umständen und vor Freude fängt er bei der Geburt an zu weinen. Ein Klassiker unter den TV-Krimis. Ein Muss für alle Fans von Krimis der gehobenen Sorte.

4.Teil: “Kalte Rache” (“To Be a Somebody”)

Das Thema dieser Folge hat seit der Aufdeckung der rechtsterroristischen Morde an Aktualität gewonnen. Ein Mord an einem pakistanischen Kleingewerbetreibenden macht den Anfang. Die Motivation zu den Morden wird einigermaßen schlüssig an die Oberfläche geholt, aber die Inszenierung ist sehr holprig und eher uninspiriert. Die Dramaturgie kommt nicht richtig in die Puschen, sondern wiederholt nur das bisher benutzte Schema. Dass hier eine wesentliche Figur auf der Strecke bleibt, wird  nicht in ein besonderes Ereignis in einem Spannungsaufbau umgemünzt und das, obwohl die Art und Weise der erfolgreich gestellten Falle interessant ist. Ebenso ist es mit dem Ableben selber, dessen Theatralik ebenso nicht rüberkommt. Die Schwächen liegen wohl weniger beim Drehbuch als vielmehr bei der Regie. Fitz ist eigentlich besser in Form als sonst – aber wenn man sich nur selbst spielen darf!? Trotz des Themas und der Schlüssigkeit die bis dahin schlechteste Folge. Direkt nach dem Highlight der dritten Folge ziemlich enttäuschend.

5.Teil: “Teuflische Verführung” (“The Big Crunch”)

Auch in diesem Fall wird sehr schlüssig aufgeklärt. In dieser Hinsicht kann man kontinuierliche Fortschritte in der Fitz-Reihe feststellen. Doch die Täter-Figuren sind etwas betagt und der Fortgang der Handlung ist ebenfalls gemächlich. Dabei werden die Figuren zwar gut gemeistert und der Zuschauer wird immer vorab informiert, wenn Fitz und Co. noch auf dem Holzweg sind und man sie deshalb bei ihrem Irren begleiten kann. Die Kluft zwischen Selbst- und Fremdeinschätzungen taucht in dieser Folge prominent auf. Fitz redet natürlich immer viel, aber diesmal stehen die monologischen Konstruktionen fast mehr im Vordergrund als der Fall selber. Da hilft auch die wenig überzeugend gespielte Liebelei mit „Penthesilea“ nicht. Die Mono-/Dialoge sind handwerklich gut, aber nicht besonders spannend. Die Turbulenz der ersten Folgen ist hier fast völlig auf der Strecke geblieben. Dass die Täter als Christen zu einem solchen Satanismus fähig sind, ist eigentlich von der Charakterdarstellung her nicht vorstellbar. Ähnlich wie der Haupttäter, der in der Glaubenskrise steckt und eigentlich ein von der Kosmologie geleiteter Skeptiker ist, kommt der Film nicht ganz beim gesetzten Ziel an. Auch beim Film gibt es diese Kluft. Der Film will diese Kluft mit Worten überbrücken, von denen Bilder abgezogen werden. Der Haupttäter benutzt in seinen Ansprachen an die Gemeinde Worte, um zu blenden und seine eigene Unwissenheit zu verbergen. Seine Tat ist also aufgrund fehlender Motivationsstärke unverständlich und so endet dieser Teil mit der Voraussicht, dass der Haupttäter und zugehörige alte Weiber ihre Schuld leugnen und in ihrem hermetischen Weltbild verharren werden.

6.Teil: “Männerphantasien” (“Men Should Weep”)

Waren bei der fünften Folge eher die Zeichnungen auf dem Körper des Opfers von bizarrer Qualität und der Rest doch eigentlich ziemlich herbeigeholt, ist diese Folge richtig spannend. Die zweitbeste Folge nach der dritten Folge. Es wird hier fast wieder das Niveau der dritten Folge erreicht. Die ermittelnde Polizei muss hier wieder leiden. Zwei Tote musste sie bisher schon hinnehmen. Sogar der Chef musste ja dran glauben. Hier wird eine Protagonistin vergewaltigt. Ob ein Kollege der Täter ist, bleibt in dieser Folge am Ende offen. Jedenfalls werden die verschiedenen Handlungsstränge gekonnt verknüpft. Der Aufbau der Spannung ist auch OK. Alle Charaktere werden voll engagiert und es gibt kaum Leerlauf. Die Story wird sehr wirklichkeitsnah geschildert. Dabei gibt es keinen Automatismus, sondern die Handlung wird durch die Schicksale der Figuren verständlich. Sie sind so undurchsichtig angelegt, wie es die Handlung erfordert. Der Fortgang der Handlung ist also ein Heraustreiben der Eigentlichkeit, inkl. eines Austreibens, eines kleinen Exorzismus. Der Beichtvater überschreitet die Grenze zum Psychologen und Fitz, der Psychologe kariert den Tätercharakter in einem exorzistischen Gelb–Braun. Der Täter wird am Ende keine Bedrohung mehr für weiße Frauen sein und der schwarze Humor von Fitz hat die seine vor ihm gerettet. „Ein gutes Licht“ scheint über die Temperamente. Durch Transparenzen in der Charakter-Umwelt-Darstellung wird auch der Zuschauer ein wenig von ihm gestreichelt.

Prime Suspect – Teil 1 (203 min., 1991)

Eine Frau wird zur Chefin einer Ermittlungseinheit in einem Kriminalfall getöteter und vorher gequälter Frauen. Sie steht zur sehr im Mittelpunkt. Diese Problematik wird von ihrem Ehemann problematisiert. Was uns nicht weiterhilft, wenn es auf dem Bildschirm  passiert. Das Drehbuch wurde von einer Frau (Lynda la Plante) verfasst. So weit zu dieser Ursachenforschung. Die Chefermittlerin wird nicht unbedingt sympathisch dargestellt, aber durchaus integer, zumindest was ihre berufliche Tätigkeit angeht. Sie ist egobewusst, besitzt keinen großen Sexappeal (mehr?), aber eine gewisse Würde. Ein bisschen der Maggie Thatcher-Typ. Ein Punkt, den die “Prime-Suspect”-Serie (dt.:”Heißer Verdacht”), die in einem ähnlichen jährlichen Rhythmus wie die  ”Cracker”- Serie produziert wurde, auszeichnet, ist die konzentriertere Herausarbeitung der Herdenmentalität in der Polizei. Ich frage mich, warum gerade dieser Punkt so interessant für Lynda Titchmarsh (alias La Plante) war? Die Vorstellung, dass Männer ein Rudel bilden und eine Frau  ihre Chefin wird, scheint wohl nicht erst seit Maggie Thatcher tief in der britischen Psyche eine enorme Faszination auszulösen. Die Auflösung des Mordfalls wird dann auch zu einem Duell zwischen dem teilweise von anderen sympathisch wahrgenommenen Frauenmörder-Casanova und der etwas ältlichen Ermittlerin stilisiert und wenn er gesteht, ist ihre Erregung ihrer Befriedigung gewichen. Dazwischen darf sie auch mal mit Prostituierten sorornisieren. Als sie dabei selbst für eine Prostituierte gehalten wird, wehrt sie den Freier duzend ab – was ihr ein Grinsen in käuflicher Runde entlockt. Bei der Fitz-Serie war es nicht nötig, dass alle Schauspieler große Leistungen brachten. Die Serie überzeugte, weil diese Mängel als solche sichtbar wurden, als allgemein-menschliche empfunden werden konnten und die Serie dadurch eher sympathischer machten. Hier gibt es ähnliche Mängel, die aber aufgrund des innerlich bleibenden Anspruchs der Serie an Akkuratesse einen (übermenschlichen)  Maßstab memorieren lassen, der an das Menschliche gelegt wird. Dass dieses explizit auch durch die Chefermittlerin geschieht, lässt nicht auf die Fähigkeit zur Selbstkritik schließen, denn es ist ein folternder Serienkiller, der überführt werden soll. Das eigene Ungenügen ist auf das absolut Böse transferierbar. Ein lebhaft geschilderter Polizei-Benefiz-Boxkampf ist ein Kontrapunkt zur fast immer peniblen Tugend. Viel Lachen wirkt deplaziert. Die Inszenierung ist trotzdem nicht so schlecht. Wenn mir die Story auch nicht gefällt, schlecht erzählt ist sie weder vom Drehbuch her noch was die dramaturgische bildhafte Inszenierung anbetrifft. Bevor ich mir den nächsten Teil reinziehe, wird es aber noch etwas dauern.

Downton Abbey (Staffeln 1 und 2 – 2010/11)

In einem großen Haus passiert immer viel. In dieser Serie geht es um ein herrschaftliches Anwesen in einer Umbruchzeit. Der erste Weltkrieg bricht aus und endet auch wieder. Figuren sterben, erleiden Verletzungen, genesen wieder. Doch das Wesentliche ist die Aufrechterhaltung der Ordnung in dem Universum eines adligen Landsitzes.  Doch schleichend bricht sich das Neue die Bahn.  Die nächste Generation der Crawleys ist etwas fortschrittlicher und wird von den Eltern geliebt. Sie müssen also akzeptieren, wenn eine Tochter mit dem Kommunisten-Chauffeur nach Irland geht. Doch wenn der Krieg vorbei ist, wird das zeitweise als Genesungsheim für verletzte Soldaten genutzte Anwesen wieder seiner Bestimmung zugeführt: Sitz der Tradition mit klar bestimmten Rollen zu sein.  Die alte Dame des Hauses präferiert einfache Lösungen und der Zuschauer bekommt am Ende der zweiten Staffel ein Happy-End präsentiert. Ein allgemeiner Nutzen ist das Resultat, wenn man den Weg dahin nicht hinterfragt.

Wir leben nicht nur in der Gegenwart. Wir machen Pläne für die Zukunft und weil wir die Regeln unserer Gemeinschaft kennen, wissen wir um die Wahrscheinlichkeit, mit der Ziele zu erreichen sind. Wenn es keine Vergangenheit gäbe, gäbe es auch keine Geschichten, keinen Abend, an dem man den Tag ausklingen lässt. Alles verläuft zyklisch und darauf baut diese Serie auf. Wir wissen, was uns erwartet. Was die Zuschauer sich vorstellen, bekommen sie auch. Die Ereignisse sind eingebettet in die Gewissheit des gleichen Maßes. Niemand bricht aus, sondern geht höchstens seinen Weg. Und wenn etwas ausbricht wie ein Krieg oder eine Krankheit, so geht es darum, die Folgen in den natürlich vorgezeichneten Grenzen zu halten. Das geht hier anscheinend immer noch.

Der Drehbuchautor Julian Fellowes kommt aus einer Welt, in der Etikette noch zählte. Er weiß, wovon er schreibt. Er ruft Konventionen und Umgangsformen ins Gedächtnis. Vieles wird in den Dialogen von den Figuren redundant formuliert. Und so begibt man sich auf eine Zeitreise: man durchschreitet den vergangenen Moment und kommt so bei dem vorausliegenden Moment paradox an. Man trifft sich selber als Bestandteil der Welt, aus der man stammt und dieses überraschende Moment als Nichtzeit muss wachgehalten werden.

Das beherrscht Fellowes ganz gut, obwohl man sagen muss, dass die Figuren aufgrund der teilweise ausufernden (dann wieder übertrieben konterkarierten) Etikette an Tiefe einbüßen. Lady Mary Crawley ist die Figur, an der man das beispielhaft ablesen kann. Das Stigma ihres Fehltrittes mit dem Türken und das gegenseitige Zaudern in ihrer Beziehung zu Matthew machen die Serie etwas zäh und die Figuren werden dadurch nicht sympathischer oder  interessanter. Zuviel Ballast schleppt die Handlung freiwillig mit.

Es gibt in der Serienlandschaft zur Zeit aber kaum bessere Beispiele für die Darstellung dieser Epoche. Gediegenheit ist hier ein Stilmittel. Das kriegt die Serie hin. Die Beziehungen der Bediensteten sind auch lebendig geschildert. Einige dieser Charaktere treffen den Nerv! Dass sich diese Serie qualitätsmäßig über dem Durchschnitt befindet, ist also keine Frage. Die Serie beleuchtet zwischenmenschliche Prozesse und hat einige originäre Aussagen zu bieten, ist aber nicht bereit, selber den behaglichen Beobachterposten zu räumen. Ob Geduld belohnt wird?

The Wire – 3.Staffel (2004)

Das Problem dieser Serie und auch ihrer 3.Staffel ist nicht die Darstellung der sozialen Verhältnisse. Die Figuren sind gut und interessant angelegt. Man gewinnt den Eindruck, dass man sie so auch in der Wirklichkeit treffen könnte. Das Problem liegt bei der Handlung. Das wird bei der dritten Staffel besonders deutlich. Ich persönlich habe erst zur Halbzeit der dritten Staffel ein Interesse an der Handlung entwickelt und auch diese Erwartungen wurden dann wieder zur Hälfte enttäuscht. Warum sollte man sich überhaupt für die Handlung  interessieren? Dass Etwas beginnt und Etwas endet, ist für sich noch nicht schilderungswürdig. Die Flüssigkeit des Erzählstils war in der ersten Staffel zwar besser, ist aber auch in der 3.Staffel nicht schlecht und die Charaktere kommen gut ‘rüber, obwohl die Selbstgefälligkeit von McNulty zunehmend nervt.

David Simon (der Schöpfer dieser Serie) war Journalist und ein Journalist findet schon eine Realität und Fakten vor und muss keine Fiktion abliefern. Die Handlung ist für einen Reporter schon da. Er muss sie nur aufspüren und wahrheitsgetreu (und am Besten lebendig) wiedergeben. Die  Geschichte von “The Wire” wird auch lebendig erzählt. Aber welche Geschichte? Die Figuren in ihrer Verschiedenheit und die Interaktionen zwischen ihnen sind nachvollziehbar. Aber die Serie muss sich auch an Organisation und Technik festhalten, um die Kontinuität des Handlungsgeschehens zu gewährleisten. Organisation und Technik verändern sich, werden z.B. effizienter (teilweise aber nur pseudo-effizienter). Das kriegt die Serie noch hin. Die Figuren sind in dieser Hinsicht wesentlich unflexibler. Ihre Wandlungen finden meist abrupt statt oder sie müssen sterben. Dem Journalisten-Ethos widerspricht es, etwas zu erfinden. Wenn das Betreten der fiktionalen Ebene aber lediglich das gegenseitige Echo der Figuren hervorbringt, was darf man dann erwarten?

Dazu kommt in der dritten Staffel aber auch ein utopisches Element. Das wichtigste Handlungsmoment der dritten Staffel ist die Ghettoisierung der Drogenkriminalität in “Hamsterdam”. Um die Drogendealer von ihren Ecken weg zu bekommen, werden drei Sektoren ausgesucht, wo diese Szene unter den Augen der Polizei ihren Geschäften nachgehen kann. Es handelt sich hier aber nicht um eine hochoffizielle, von der Politik abgesegnete Polizeistrategie, sondern um einen Alleingang eines höheren Polizeibeamten schwarzer Hautfarbe, der kurz vor seinem Ruhestand noch einmal etwas Neues probieren will. Das Projekt scheitert und auch der Zuschauer der Serie wundert sich, was nun die Pointe der Geschichte sein soll. War das jetzt nur ein Kniff für die konzentrierte Darstellung der Drogenkriminalität? Weil die Fantasie des Storyentwurfs für die Ursachenforschung bzw. die Problembewältigung nicht ausreicht?

Ein Problem kann man isoliert betrachten, aber wenn man die Problemträger von der Gesellschaft trennt, dann ist das eine Art Vorgefängnis und Vorverurteilung, eine reale Abtsraktion zuungunsten derjenigen, die von der Norm abgewichen sind, sodass sich die Bürger darum nicht mehr kümmern müssen. Dass ein Schwarzer der Urheber dieser Strategie sein soll, ist schon etwas obskur. Gab es für diese Figur reale Vorbilder? Kurt Schmoke war der farbige Bürgermeister von Baltimore in der Zeit von 1987 bis 1999,  also in der Zeit, in der Simon wesentliche Erfahrungen mit diesen Problemen als Journalist machen durfte. Kurt Schmoke war ein Verfechter einer Drogen-Entkriminalisierungsstrategie. Auf ihn folgte mit Martin O’Malley ein weißer Bürgermeister.

Für mich ist die Drogenkriminalität kein Rassenproblem, sondern es geht um prinzipielle Fragen. Die erste Frage: nimmt man Drogen, weil man Probleme hat? Probleme, die man vielleicht erst später erkennen würde, wenn man nicht zu  Drogen greift. Durch Drogen verliert man zumindest teilweise die Kontrolle über sein Leben. Der Drogenkonsum führt oft zu persönlichen Problemen. Das ist generalisierbar. Die Unterschiede sind nämlich nur gradueller Natur. Bei harten Drogen wird der kritische Punkt schnell überschritten, an dem man aus der Gesellschaft “austickt”. Gesellschaftspolitisch ist also Drogenkonsum nicht tolerierbar. Drogenkonsum ist der Parasit in der Welt der Arbeit. Drogen werden genommen, wenn Menschen den direkten Kontakt zu ihrer natürlichen Produktivität verlieren, bei Phänomenen der Unter- und auch Über-Arbeit. Prostitution ist der Parasit in der Welt der Liebe.  Sie ist gesellschaftspolitisch genauso abzulehnen wie der Drogenkonsum. Bei der Bewältigung dieser Probleme kann es aber vernünftig sein, Abstufungen vorzunehmen, um die individuelle Autonomie nicht einzuschränken. Es ist absehbar, dass sich die Drogenprobleme in der Zukunft nicht mehr durch staatliche Interventionen bekämpfen lassen. Jeder wird in der Zukunft billig etwas herstellen können, was ihn in eine andere Welt führt, wo er von der Realität nicht belästigt wird. Mit der Prostitution ist es ähnlich. Abstufungen sind also auf jeden Fall perspektivisch gesehen sinnvoll, wenn sie kompromisslos gehandhabt werden können.

“The Wire” besitzt eine humanistische Grundfärbung. In der dritten Staffel kommt es jedoch zur direkten Kumpanei zwischen Staatsmacht und Drogenkriminalität, die für die Seiten der Bürger (oder der Staatsmacht, wenn sie nicht kontrolliert werden würde?) und der Kriminellen (als die dann zumindest teilweise supervisierten Opfer der Verhältnisse?)  Nutzen bringen soll. Die Kumpanei zwischen Staatsmacht und Kriminalität kündigte sich schon in der ersten Staffel an.

“Hamsterdam” bringt die Story meines Erachtens nicht weiter: die Klimax als Ort. Kann man davon etwas anderes lernen? Inwieweit und unter welchen Bedingungen ist Selbstausgrenzung etwas Wünschenwertes, intellektuell Fruchtbares oder Pathogenes? Wie kann man der Isolierung oder Losreißung entgehen? Ist der Beruf der einzige Weg zur Integration und wie ist die Berufung des Intellektuellen damit vereinbar? Ohne “Hamsterdam” ist die dritte Staffel aber fast storylos. Es gibt dann noch die singulären  Beziehungen zwischen den  Charakteren und das Streben nach und die Ausübung von Macht; aber es fehlt das storyglobale, gravitierende Element, das der Handlung ihre Masse und ihr Eigengewicht verleiht, durch das sich die dritte Staffel ihre Relevanz sichert. Doch auch das war “Hamsterdam” nicht. Es war eher ein Damoklesschwert, das über schwarzen Amtsinhabern schwebte.

Wahrscheinlich ist genau das Gegenteil von “Hamsterdam” der Weg, der von Amerika erfolgreich beschritten werden kann: das offene Angehen der Kriminalität in der Mitte der Gesellschaft, dort, wo sie stattfindet – ohne einen Ort zu suchen, an den sie abgeschoben werden kann. Wenn Amerikaner “Missionare der Tat” sind, dann nimmt die Beherrschbarkeit unvermeidlich auftretender Probleme zu. Amerika ist ein in sich diverses Gebilde. Hier führt kein Weg nach Rom. Die Menschen verschiedener Herkunft müssen sich unter dem Vorzeichen eines selbständigen Universalismus miteinander auseinandersetzen und das kann nicht vollständig konfliktlos geschehen. Ganz klar ist: rechtsstaatliche Prinizipien dürfen nicht umgangen werden, sondern müssen gestärkt werden. Die Emanzipation der Schwarzen kann nur über diesen Weg vorangebracht werden. Alles andere ist Humbug. Nur: das Recht darf sich nicht von den Bürgern entfernen. Und das ist und bleibt eine große Herausforderung.

Boardwalk Empire (Staffel 1, 2010)

 Es ist interessant, Downton Abbey und Boardwalk Empire miteinander zu vergleichen. Auch bei Boardwalk Empire spielt der erste Weltkrieg noch eine kleine Rolle. Einige Verletzungen der Figuren rühren daher. Ein Milchgesicht-Killerbubi hat ein steifes Bein und seinem Killergehilfen fehlt sogar eine Hälfte des Gesichtes. Ansonsten gibt die Prohibitionsära den Hintergrund für korrupte Politik und reichlich Gewalt. Diese Serie ist eine Erwachsenenserie. Es gibt nicht nur Gewalt, sondern auch offen gezeigten Niedergang und viel Nacktheit. Für eine tief gehende Beschreibung us-amerikanischer Geschichtswirklichkeit reichen aber ein Kaleidoskop an Figuren und ein realer Hintergrund noch nicht aus.

Es hakt an zu vielen Stellen. Zum einen sind viele Szenen einfach abstoßend. Fantasie wird durch Brutalität ersetzt. Dass auch viel Zärtlichkeit vorkommt, ist positiv zu bewerten, kann diesen Makel aber nicht wettmachen. Dieses Problem der undistanzierten Darstellung der Gewalt haben natürlich viele us-amerikanische Kulturproduktionen. Es bleibt auch eine Frage des Kontextes. In Boardwalk Empire wird an das Gewalt-Thema eher exekutiv als legislativ und judikativ herangegangen, und eher judikativ als legislativ. Die Kameraperspektive zeigt die Ausübung der Gewalt einige Male aus der Perspektive des Opfers. Dann wird es dunkel. Die Gewaltdarstellungen sind wirksame Zäsuren der Story, nach denen man zum neuen Alten übergehen kann. Konkurrenten werden eliminiert: aus den Augen, aus dem Sinn.

Das heißt auch: die Serie unternimmt keinen Versuch, etwas zu ändern, obwohl die Geschichte selber voran geschritten ist. Die Serie lebt also teilweise von Nostalgie. Um die Erinnerung aufzufrischen, werden Momente des Entsetzens gebraucht, um zu zeigen, wozu Menschen in der Lage sind, wenn das Rechtssystem kein Hindernis für diejenigen darstellt, die verstehen, wie man sich Gewaltverhältnisse dienstbar machen kann. Eine nostalgische Utopie steht einerGewaltkultur Angesicht in Angesicht gegenüber.

Die andere große Schwäche hat mit der ersten teilweise zu tun. Die Hauptfigur des Bezirkskämmerers von Atlantic City Enoch “Nucky” Thompson ist schillernd und man kann sie so akzeptieren. Sie wird von Buscemi auch ansprechend dargestellt. Es gibt Bündnisse und Rivalitäten unter den Kriminellen. Auch das ist kein Problem für die Serie. Aber die zwei nach “Nucky” wichtigsten Figuren sind nicht überzeugend. Da ist zum einen der Weltkriegsheimkehrer und Zögling von “Nucky” Thompson Jimmy Darmody. Ein Killer mit Milchbubigesicht (oder: Engelsgesicht?), der eiskalt abliefert – im Leichenschauhaus. Michael Pitt ist für diese Rolle eine absolute Fehlbesetzung. Nicht, dass er unbedingt schlecht spielen würde. Sein Charakter ist zum einen zärtlich, dann wieder skrupellos. Viele Charakter sind sich selbst die nächsten. Darmody ist dann der wenig überzeugende Charakter, dessen Selbstwidersprüchlichkeit offen zu Tage tritt. Seine Gebrochenheit erstarrt zur Pose. Er kippt sich dann z.B. einen Whisky die Kehle herunter. Und die Kamera zeigt uns sein Profil und die Coolheit, die er einfach nicht darstellen kann – und auch nicht soll. Diese Unentschiedenheit in der Anlage seiner Figur kann durch das Schauspiel von Michael Pitt nicht wettgemacht werden. Die Serie zeigt Engagement in der Darstellung der Figuren und der Verhältnisse. Aber wenn die Tugend die Untugend spielen soll, kommt ein schiefes Unsittengemälde heraus.

Die andere wichtige Figur an der Seite von “Nucky” ist Margaret Schroeder. Sie wird von Kelly MacDonald verkörpert und  sie tut mir ebenso leid wie Michael Pitt. Sie können ihren Figuren nur auf unnatürliche Weise Profil verleihen. Auch bei Frau Schroeder gibt es diese Widersprüche, die sie in der ersten Staffel aber nicht im Whisky ertränken kann. Also ist sie doch nur die Hure eines korrupten Politikers? Doch sie  tritt doch für Frauenrechte und gegen den Alkoholismus ein!? Hat ihr Charakter also überhaupt keinen Charakter? Wird alles erst später von ihr bewältigt? Weil sie zwei kleine Kinder hat, für die die pekuniäre Fürsorge von “Nucky” von Nutzen sein kann? Wieder soll die Tugend die Untugend spielen. Figuren wurden nach ihrer “reinen” Ausgangslage besetzt und nicht nach ihrem Werdegang und das schmerzt.

Wenn die Handlungsweisen der zweit- und drittwichtigsten Figur nicht verständlich sind, dann wankt das Fundament für das Figurenkabinett erheblich. Das sind offensichtliche und deshalb eigentlich als vemeidbar anzusehende Storyfehler.

Der Ansatz dieser Serie ist jedoch  anspruchsvoll.  Es gibt viele interessante Nebenfiguren, die teilweise drastisch zur Dramatik beitragen. Nelson Van Alden, der Prohibitionsagent ist der tugendhafte Counterpart zum kriminellen Enoch Thompson. Und der Tugendhafte darf auch die heißeste Sex-Szene mit der gut gebauten und leidenschaftlich stöhnenden Konkubine von “Nucky” haben.

Leider sind einige Schlüsselszenen nicht überzeugend umgesetzt. Vor allem die Judentaufe durch Van Alden mit negativem Ausgang wurde halbherzig in Szene gesetzt. Van Alden kommt straflos davon und auch die Regie fühlt sich nicht verpflichtet, Ereignisse inhaltlich miteinander zu verbinden, sondern nur: ein Ereignis abzuliefern, das nicht über den Schauwert für die Beteiligten hinausgeht. Es hapert also nicht nur am Drehbuch.

Eine andere ungewöhnliche Szene betrifft die Beziehung zwischen Darmody und seiner Kindesmutter. Den Liebhaber kann Michael Pitt besser spielen als den Gangster. Darmody will sie beglücken, doch sie hat ein Verhältnis mit einer Frau und wehrt sich erst.  Seine “Lesbenbescherung” überzeugt mehr als seine Gangster-Darstellung. Eine eher unwichtige Szene ist für mich die wahrhaftigste Szene der ersten Staffel. Sie zeigt sein Erstaunen über die abgeschnittenen langen Haare seiner Kindesmutter. Die Serie gravitiert oft chaotisch. Bei Downton Abbey dagegen ist das adlige Element das Naturgesetz, nach dem sich am liebsten auch die Schwerkraft zu richten hätte. In der unglaubwürdigsten Szene will Darmody noch einmal von Thompson bestätigt bekommen, dass er von ihm zum Morden gebraucht wird. Diese Szene ist ein Eingeständnis der fehlenden Fantasie: das Unstimmige wird durch seine Wiederholung auch nicht stimmiger. Da hilft kein hilfloses Insistieren.

Die größte Stärke der Serie liegt meines Erachtens in der Darstellung der Politikerkorruption: wie Vergnügungen und Absprachen miteinander verbunden und in Männerbünden organisiert werden. Frauenrechtlerinnen werden noch nicht einmal ernst genommen. Auch unterschiedliche Kriminellenverhältnisse in den Hochburgen New York, Chicago und eben Atlantic City werden interessant kontrastiert. Im dekadenten Atlantic City herrscht der Ire “Nucky”. In Chicago verdrängen die Italiener (mit Hilfe des Iren Darmody) brutal die Iren und in New York gibt es den jüdischen Nadelstreifen-Manipulierer,  der seine Handlanger als Affen ansieht, die er braucht, damit er seine Finger nicht schmutzig machen muss. Michael Stuhlbarg, selber jüdischer Herkunft, spielt die Arroganz dieses pseudo-kultivierten Gangsters komplett: Körperhaltung, Mimik, soziales Verhalten. Eine überdurchschnittliche schauspielerische Leistung.

Diese Serie kann schon viel über Amerika aussagen. Da sind zum Beispiel die Ethnien der Iren und der Italiener, die hier noch vergleichsweise homogen auftreten können und sich teilweise bekriegen, dann wieder Allianzen eingehen. Irisch-italienische Ehe-Partnerschaften sind keine Seltenheit in den USA. England ist ein Produkt  keltisch-germanischer Verschmelzung. Die USA sind auch ein Produkt keltisch-romanischer Verschmelzung und in ihnen findet man so Konstellationen wieder, die man nicht durch bloße Grenzkontakte von einheitlichen Gebilden reproduzieren kann. Ethnische Nähe und kulturelle Ferne schließen sich nicht aus. Deckungsgleichheiten werden verschieden definiert – ohne dass es überhaupt zu Deckungsgleichheiten kommen muss.

Thompson hat einen deutschen Diener und der deutsche Ehemann von Margaret prügelt sie so, dass sie das Kind verliert, mit dem sie schwanger ist. Und Jimmy kommt gerade aus dem 1. Weltkrieg, in dem Deutsche töten natürlich das Ziel war. Außerdem ist der “Kommodore”  deutscher Herkunft. Er ist der leibliche Vater von Jimmy und eine ehemalige Größe von Atlantic City.  Das deutsche Element spielt in der dargestellten ethnischen Melange eher die Rolle des blinden Fleckes.

Außerdem ist diese Serie interessant bezüglich der Geschlechterrollen: viel Barbusigkeit und wenig echte Mitsprache. Van Alden kasteit sich selbst, wenn er das Passfoto der jungen Margaret betrachtet und hat später Sex mit der Konkubine seines Feindes. Wo befindet sich nun das Echte? Das ist eine Frage, die in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen sicherlich nicht nur für Amerika eine Relevanz besaß, aber für Amerika eine bleibende Relevanz?

Wenn man Downton Abbey mit Boardwalk Empire vergleicht, dann sollte man das nicht nur in Bezug auf die Darstellung von Schichtunterschieden und Gewaltordnungen, sondern auch hinsichtlich der Geschlechterverhältnisse: wie sich Männer gegenüber Frauen verhalten und wie Frauen ihre Macht organisieren. Da gibt es doch entscheidende Unterschiede. Die ethnische Differenz spielt in Downton Abbey keine Rolle. Die englische Kultur ist so wie sie ist – manifest in Beziehungen, Handhabungen von Objekten und auch moralisch gebotenen Abständen in der sittlichen Ordnung der jeweiligen Zeit. Wenn der moralische Abstand durch eine Gewehrsalve pulverisiert wird, wieviel bleibt dann von Amerika übrig? Genausoviel wie von der Welt der Figuren für die Bilder vom Boardwalk im Empire? Der Boardwalk schlängelt sich durch das Gehirn des Zuschauers wie durch ein Evil Empire –  und lässt Leichen an den Synapsenübergängen zurück. Kein Nucky Thompson, der darüber wacht, sondern eine Hure genannt “Bildung”.

Für alle Fälle Fitz (“Cracker”) – Die dritte Staffel (1995)

Wenn es nur die dritte Staffel geben würde, wäre die “Cracker”-Serie kaum erwähnenswert. In der dritten Staffel gibt es nichts Herausstechendes, durch das sich die Serie in der Serienlandschaft besonders auszeichnen könnte. Jimmy McGovern hat das Drehbuch für fünf der ersten sechs Folgen geschrieben. Er ist der Schöpfer dieser Serie. Er verabschiedet sich mit der siebten Folge. Das Drehbuch für die Folgen 8 und 9 verfasste Paul Abbott. Keine weitere Staffel wurde produziert, sondern nur einzelne Filme 1996 (wieder mit einer Story von Abbott) und zehn Jahre später (mit einer Story von McGovern). Abbott hat einen anderen Stil und formt einige Figuren anders. In der achten Folge bleibt es offen, worin die zutreffenden Vermutungen von Fitz gründen. Fitz zeigt in den letzten zwei Folgen auch neue Charakterzüge. Selbst gegen den toten Jimmy Beck tritt er noch nach: “Mein Standardgetränk hat mehr Fassreife als der Tote; ein Malt-Whisky auf ihn wäre eine Verschwendung”; “ich spucke auf diese Drecksau; es wid mir schon schlecht, wenn ich nur seinen Namen höre”. Was eigentlich der Philosophie des Fitz-Charakters widersprechen würde, nach der der Psychologe andere Menschen nur verstehen kann, wenn er die eigenen Abgründe nicht ausblendet oder mit fremden Wissen zuschüttet. In dem 1996er-Film bildet er sich dann auch etwas darauf ein, Freud verstanden zu haben: “Freud ist vierzig Jahre nicht verstanden worden; Laing versteht heute noch keiner” – als ob nicht die Grundlage der Freudschen Psychiatrieauffassung schon fragwürdig wäre. Worte können keine Liebe ersetzen und sollten es auch nicht versuchen. Ein Psychiater (oder speziell Psychoanalytiker) ist immer ein fremder Mensch, dessen Deutungsmacht man implizit anerkennt, wenn man ihn konsultiert, obwohl das Privileg eines exklusiven Zugangs zum eigenen Selbst nicht übertragbar ist. Fitz verrät also seine eigenen Prinzipien. Dabei schien er doch vorher die Bedingungen seines Gewerbes klarsichtig zu durchschauen.

7.Teil: “Bruderliebe” (“Brotherly Love”)

Die erste Folge der 3. Staffel ist nicht gut erzählt. Sie steuert zwanghaft auf ein Ende zu, das der Story Gewicht verleihen soll. Eine Stärke der Fitz-Serie bleibt, dass man sich für die Gefühlsebene Zeit lässt. Gefühle werden auch in dieser Folge nicht der Story geopfert. Aber warum musste es mit Jimmy Beck so enden? Hatte er den Keim dafür mit seiner Schuld gelegt, die an ihm nagte und die er nicht los wurde? Aus Spaß wurde Ernst. Die Figur, die noch eine Maske braucht, springt tatsächlich in ihren eigenen Abgrund. In der Story geht es um Buße. Wer nicht genügend liebt, soll Buße tun. Wer Geld für die Liebe nimmt, dem soll keine Erdenzeit mehr bleiben, um Buße zu tun. Nutten müssen dafür bezahlen, dass sie den Frauen ihre Männer verderben und das Territorium der Ehe nicht achten. Die Geistlichkeit konnte nicht helfen. Selbst ist die Ehegattin. Sie tut Buße durch Taten. Am Meißel klebt noch das Sperma ihres Mannes. Die Gebrochenheit mehrerer Charaktere wird gut eingefangen. Für mich gibt es hier aber ein bisschen zu viel unreflektierte Gebrochenheit. Man fragt sich, wo der Ausweg ist. Es endet tragisch. Die Handlung und die Charaktere sind etwas stumpfer als sonst. Da das, was innerhalb der Ermittlungseinheit geschieht, genauso wichtig ist wie der zu lösende Fall, wird jedes Ungleichgewicht bemerkt. Der Chef der Abteilung wirkt z.B. wie ein Fremdkörper. Trotzdem sind die Handlungsstränge wieder einigermaßen gut miteinander verzahnt und das Ende entschädigt etwas für die lauen Abschnitte.

8.Teil: “Racheengel” (“Best Boys”)

In der achten Folge hat sich Abbott bei der Nachvollziehbarkeit der Gefühle nicht viel Mühe gegeben und auch nicht bei der Logik der Aufklärung. Das kann nicht nur daran liegen, dass hier homoerotische Tendenzen eine Rolle spielen. Der Grund dafür könnte darin liegen, dass Autobiographisches, das nur halb verarbeitet wurde, in die Story eingeflossen ist. Abbott kam selber einige Zeit bei einer Pflegefamilie unter, nachdem seine schwangere Schwester auf ihn und seine zahlreichen Geschwister aufpassen musste. Nicht die Spannung, sondern die Gespanntheit nimmt während dieser Folge immer mehr zu. Die Dialoge sind teilweise ungewohnt pfiffig. Ihre storydienliche Funktion wird dagegen vernachlässigt. Das ist die erste Fitz-Folge, die eine Kluft zurücklässt: sie wollte mehr als sie selber sein, war aber weniger als eine Fitz-Folge selbst. Einige Motive früherer Folgen wurden aufgegriffen: wie in der zweiten Folge gibt es hier ein Täter-Pärchen, wie in der dritten Folge geht es um eine Beziehung zwischen einem Mann im mittleren Alter und einem Jugendlichen. Dieser hier ist aber schon bald erwachsen. Die Homosexualität des älteren Mannes ist vielleicht nur unterstellt. Er selber spricht neben Liebe von Achtung gegenüber dem Jüngeren. Einiges bleibt unklar. Warum achtet er ihn? Weil er im Militärdienst funktionieren musste und ihm ein Teil seiner Individualität amputiert wurde, die er nun bei dem Heimkind wiederentdeckt? Vieles bleibt holzschnittartig. Weniger wäre mehr gewesen. Die Moral wurde der Dramatik geopfert. Die Story wurde mit ein bisschen Dialog-Esprit abgeschmeckt. Alle Figuren kommen anders aus der Story heraus als sie hereingegangen sind und niemand innerhalb der Story hat daran schuld. Die Story ist die Welle, durch die ihre Charaktere wie Strandgut am anderen Ufer angespült werden und auf ihre Adoption warten – bestellt und nicht abgeholt. Oder wenn, dann vom Tod oder der Polizei.

9.Teil: “Liebesfalle” (“True Romance”)

Der letzte Teil einer Fitz-Staffel ist wieder der beste. Doch die Figuren sind unterbelichtet. Die Spannung und die Dramatik stimmen, aber die Figuren werden nur benutzt. Sie sind nur Schachfiguren auf dem Schachbrett der Dramaturgie. Paul Abbott gibt sich sich zwar bei der Auslegung der Figuren mehr Mühe als beim achten Teil, doch er will auf etwas hinaus, was nicht direkt in den Figuren zu finden ist. Alles wirkt etwas gekünstelt. Die Figuren sind nicht ganz sie selbst. Wie im letzten Teil der 2.Staffel geht es für Fitz um das Leben eines Familienmitgliedes, dessen Leben bedroht ist. Die Täterin ist kein überzeugender Charakter, insofern man mehr als approximative Charakterzeichnung erwartet. Es gebricht in vielen Punkten an der Logik. Doch die Wendungen sind interessant und in der Ursachenforschung dringt man in tiefere Schichten vor. Es gibt in dieser Folge aber eine Asymmetrie zwischen Täterin und Ermittlungseinheit, die es sonst in dieser Staffel nicht gab. Die Entwicklung auf Seiten der Ermittlungseinheit ist im Gegensatz zur Darstellung der Täterin eher formal und nicht in die Tiefe gehend. Die Verbindung zwischen der Täterin und der Ermittlungseinheit durch ihre kaum relativierte Fixiertheit auf Fitz und die Betroffenheit seiner Familie am Schluss dienen nur der Dramaturgie, um anderes in den Blickwinkel zu bekommen: wie sich Menschen gegenseitig kognitiv ausbeuten wollen, wenn es nicht schmerzt. Ein Spiel der kommunikativ-instantanen Rangeinordnungen kann ein fatales Ende nehmen, wenn der Einsatz das eigene Leben ist. Die Figuren hier empfinden zwar Schmerz, aber sie sind auswechselbar und das macht die Story nicht interessanter. Denn so werden sie nicht in dem Maße ernst genommen, dass der Zuschauer annehmen könnte, dass sie mehr als emotionale Container sind. Ihnen fehlt Persönlichkeit und charakterliche Widerständigkeit. Der (narzisstische) Neid des Drehbuchautors Abbbott will die ganze Persönlichkeit für sich und funktionalisiert deshalb die Figuren für die Story. Der dritte Teil der letzten Fitz-Staffel gefällt mir aber besser als seine von der Kritik hoch gelobte “State of Play”-Serie, die sogar noch für einen Spielfilm mit Russell Crowe und Ben Affleck adaptiert wurde. Beides ist meines Erachtens Schund. Diese Folge dagegen ist wenn Schund, dann auf einem hohem Niveau im Rahmen einer mehr als überdurchschnittlichen Serie.

Für alle Fälle Fitz (1996/2006)

Die zwei Fitz-Filme von 1996 und 2006 waren nicht nötig. In der Folge “White Ghost” von 1996 ermittelt Fitz in Hongkong. Der Täter will die Wünsche seines Ziehvaters erfüllen und ist durch regelmäßige “Bibliotheksbesuche” mit seiner Mutter traumatisiert worden. Sie waren das Alibi seiner Mutter für ihre Schäferstündchen mit seinem leiblichen Vater. Gibt es hier wieder eine biographische Einfärbung wie im achten Teil? Der Täter verhält sich reichlich seltsam. Sein Darsteller muss die meiste Zeit eine böse Miene ziehen, um zu unterstreichen, dass wir es hier wirklich mit einem gestörten Individuum zu tun haben. Die Erforschung seiner Motivation überzeugt überhaupt nicht. Die Story konzentriert sich die meiste Zeit auf einen lächerlichen Täter. Der souveräne Fitz, der wieder gut von Coltrane gespielt wird, soll es wieder herausreißen. Viel Gutes gibt es über diesen Film sonst nicht zu berichten. Der Kontakt der Kulturen, das Ermitteln in Hongkong und die “Container-Braut” werden aber passabel bebildert.

10 Jahre später folgte der bisher letzte “Cracker”-Film “Nine Eleven”. Die Story stammt vom “Cracker”-Schöpfer Jimmy McGovern selber, der wie Paul Abbott aus einer kinderreichen Familie stammt. Ihnen wurde sozusagen das Geschichtenerzählen schon ins Etagenbett gelegt. Die Serie spielte mitten im Leben. Das war ihre größte Stärke. Doch seit der letzten Folge ist viel Wasser den Bach heruntergeflossen. Dieser Film spielt nicht mitten im Leben, sondern irgendwo zwischen geschichtlichen Daten. Fitz ist mit seiner Frau und seinem Sohn Jimmy(!) mittlerweile in Australien ansässig und er wird bei einem Heimatbesuch reaktiviert. Seine Tochter heiratet und sein Sohn hat mittlerweile auch selber eine Familie. Er wird wieder von Kieran O’Brien gespielt, der in dem nicht ganz jugendfreien Film “9 Songs” die männliche Hauptrolle übernommen hatte. In “Nine Eleven” ist seine Rolle nicht von Bedeutung.

Die Tätermotivation war in keiner Fitz-Folge unklarer und Fitz kann sie für mich auch nicht erhellen. Das unschöne 9/11 spielt auch eine Rolle, die aber vage bleibt. Hat diese Folge etwas mit unserer Gegenwart zu tun? Sind unsere Probleme den Menschen in der Gegenwart auch nicht genügend klar? Lösungen gibt es anscheinend nur für die kleinen Probleme, deren Unbedeutendheit morgen schon offensichtlich werden wird. Dagegen lehnt sich wohl der Killer auf. Er fühlt sich durch die Politik im Stich gelassen und empfindet einen Trieb zum Töten, den er nicht unter Kontrolle bekommt. Etwas bricht bei ihm stellvertretend durch, was die mangelnde Konsequenz der demokratischen Akteure sich selbst überlassen hat. “Nine Eleven” tippt uns leicht an: “Hey Du, Du gehörst auch dazu”. Wenn die Kultur jedoch etwas verändern will, greift sie zum Mittel der Selbstveränderung. Das geschieht in dieser Folge nicht. Bei mir kann ich auch keine nennenswerte Veränderung feststellen. Deshalb kann das Fazit nur lauten: Auftrag nicht erfüllt.

Wenn lokale Lösungen nicht gefunden werden können, weil globale Probleme sie aus dem öffentlichen Blickfeld verdrängen und wenn die angebliche amerikanisch-irische Unterstützung für nordirische Gewalttäter interkulturelle Herausforderungen vor Augen führt, warum ist das Einzelschicksal eines traumatisierten Polizisten dann so interessant? Es wird nicht genügend mit den Zeiterscheinungen verknüpft. Stattdessen hält sich diese Folge an die üblichen Erzählmuster, damit Fitz ein paar Morde aufzuklären hat. Die Ohnmacht bleibt. Die Scharfschützen bereiten ihr kein Ende. Ihre Macht besteht in der Zielsicherheit ihrer Kugeln. Eine gute Story kann mehr!

The Wire – Staffel 4 (2006)

Die vierte Staffel von “The Wire” unterscheidet sich von den ersten drei Staffeln in vielerlei Weise. Sie ist nach der ersten Staffel die zweitbeste (die fünfte kenne ich noch nicht). Es scheint mir, als ob man sich für die vierte Staffel einiges aufgehoben hat: z.B. die Gründe für die Verbrechensentstehung genauer zu erforschen und die Rolle der Politik näher zu beleuchten. Mein Urteil über die Serie war bisher, dass die Handlung der erzählerischen Herangehensweise qualitativ hinterherhinkt. Dieses Urteil trifft auf die vierte Staffel nicht zu. Bei der vierten Staffel ist die Handlung besser. Dagegen ist der Erzählstil eher monoton. Die Ereignisse werden so gleichmäßig aneinandergereiht, als ob ein Metronom im Hintergrund ticken würde. Es gibt keine Jahreszeiten in der Erzählweise: keine Schneeschmelze lässt den Fluss der Handlung zu einem mächtigen Strom anschwellen. Keine Dürre gefährdet die keimende Saat. Leichen werden in stetem Rhythmus in leerstehenden Häusern eingekalkt. Wie eine bösartige Königin ihre Liebhaber vergiftet, um ihrer Liebe gewiss zu sein, wird die Macht gebraucht, um nicht an der Liebe leiden zu müssen. Die Unsicherheit über die Loyalität der Untergebenen endet schnell mit ihrem Tod. Dem absoluten Narzissmus wird der Weg freigeschossen.

Die oberste Ebene der lokalen Politik und die unterste Ebene der Verbrechensbegeher kommen in der vierten Staffel gleichberechtigt vor. Dazwischen gibt es die Polizisten der verschiedenen Hierarchieebenen und den Lehrer, der die edukative Systemfitness hinterfragt. Es gibt zwei Figuren, die aus dem Rahmen fallen: den Boxtrainer mit krimineller Vergangenheit, der aber außerhalb dieses Rahmens nicht viel ausrichten darf, und dann wäre da wieder Omar, der gewiefte Gangster, der die Gangs abzieht und die “subtile” Tour vorzieht. Korrespondierend zum Obersten und Untersten gibt es auch die guten Vorsätze, die den Akteuren in den Mund und in die Gestik gelegt werden und die brutalen Morde der Drogen-Gangsoldaten. Besonders unglaubwürdig wirken die guten Vorsätze bei einigen Mitgliedern der mittleren Ebenen. Bunny Colvin wird wieder ein kleines Reservat übergeben: nun in einer Schule im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie. Wieder werden die Resultate dürftig sein. Seine Fraternisierung mit einem Gangster-Vater bei einem Knastbesuch offenbart wieder die Inkonsequenz bei der Anlage dieser Figur. Das moralische Korsett drückt und das sieht man dieser Figur an.

In der Schule werden die Schüler nur für die Tests gedrillt, damit die Schule gut dasteht und nicht, damit die Schüler etwas für ihre Zukunft mitbekommen. Sie werden erst hellhörig, als sie sehen, dass man die Wahrscheinlichkeitsrechnung gebrauchen kann, um beim Würfeln (Geld) zu gewinnen. An die Gründe für die Verbrechensentstehung wird eher von außen herangegangen. Was müsste getan werden, damit es anders wird? Außerdem werden negative Biographien vorgeführt, die zeigen, was passiert, wenn man nichts macht. Die schwarze Jugend wächst in die Kriminalität hinein. Morden wird dann schnell zur Normalität. Das wird beispielhaft an dem Werdegang des schwarzen Jugendlichen Michael Lee geschildert. Diese Figur lehnt sich einerseits gegen Ungerechtigkeit auf und ist doch leicht zum Mörder umfunktionierbar. Kann ein junger Charakter nicht konsistenter aufgebaut werden? Seine Sicht der Welt könnte mehr aus einer Innenperspektive erzählt werden. Der Erforschung der Gründe für die Verbrechensentstehung könnte so mehr Authentizität verliehen werden. Aber darauf ist diese Serie nicht ausgelegt. Die Ansprüche sind für eine TV-Serie aber sicherlich hoch. Es wird sich Mühe gegeben, die verschiedenen gesellschaftlichen Milieus realistisch und sogar akkurat einzufangen. Die extremen Charaktere überzeugen jedoch nicht durchgehend. Der Obergangster Marlo Stanfield, der in dieser Staffel die Morde in Auftrag gibt, wird ohne Ecken und Kanten dargestellt. Er regiert mit einem ernsten Schmuseblick. Auch einige schwarze jugendliche Charaktere wirken nicht so, als ob die Straße ihre harte Lehrstätte wäre.

Leider ist die Erzählweise oft zäh. Es wird inhaltlich viel versucht, viel Inhalt in die Story gepackt, aber kaum ein echter Spannungsbogen aufgebaut, der die Figuren wichtig genug nimmt, dass man mitleiden würde, wenn sie einem Mord zum Opfer fallen oder selber zu Mördern werden. Die filmisch-subjektive Perspektive ist zu schwach vertreten. Die Verhältnisse sollen objektiv und nicht subjektiv geschildert werden. Wenn sich subjektive und objektive Schilderung die Waage halten würden, würden die Emotionen der Zuschauer stärker angesprochen werden. Sie würden so empathisch ernster genommen werden. Die objektive Seite ist aber auf jeden Fall da. Die Charaktere besitzen auch Facetten und das Zusammenspiel der Subjekte ist spannungsvoll. Nur der Film selber enthält sich einer filmisch-subjektiven Sichtweise. Die Subjektivität der “The Wire”-Serie geht oft nicht über moralisches Tendieren hinaus. Das kann man vielleicht auch positiv sehen: diese Serie passt sich der Unterhaltungsindustrie nicht an.

Der Mehrwert dieser Serie ist ein bisschen Reflexion über die Verhältnisse in einer Stadt, in der Schwarze die Bevölkerungsmehrheit stellen. Die Probleme der Unterschichten werden ernstgenommen und bei vielen Zuschauern wurde ein Interesse an amerikanischer  Lokalpolitik geweckt. Einige amerikanische Zuschauer werden vielleicht sogar versuchen etwas zu ändern – Enttäuschungen inbegriffen. Für mich ist Baltimore zu weit weg und die Probleme sind hier anders gelagert. Die vierte Staffel hat mich aber ein wenig über einige Problemrelationen dort aufgeklärt. Eine Reise nach Baltimore würde mir Spaß machen. Einen Aspekt dieser Stadt kenne ich nun. Es gibt sicher noch etliche weitere.

 Kommissarin Lund – 3.Staffel (2012)

 Die ersten zwei Staffeln habe ich nur angespielt. Sie fingen beide schleppend an. Das Ende der zweiten Staffel war mir auch zu flach. Bei der dritten Staffel wechselte das Team teilweise: bei sechs der zehn Folgen kamen neue Regisseure und Kameraleute zum Zuge. Die Story wird in der dritten Staffel bildhafter und lebendiger inszeniert. Das Ambiente der Aufnahmen stimmt meist und die Charaktere kann man einigermaßen ernst nehmen. Was mir hier und natürlich auch bei vielen anderen Krimiserien nicht gefällt, ist die Konvention des Falsche-Spuren-Legens. Wenn man falsche Spuren legt, dann sollte das entweder die Verbesserung einer Methodik erläutern oder man sollte dadurch der inneren Kohäsion von sozialen Gefügen  auf die Spur kommen. Der Täter wäre demnach eine bessere falsche Spur gewesen als der Oppositionsführer. Im Gesamtbild dürfte es durch die falschen Spuren keine Leerzeiten geben, in der auch der Zuschauer etwas Unwesentlichem gefolgt wäre. Das ist für mich das Hauptmanko.

Dass für den Ministerpräsidenten die Fassade zum Zwecke der Machterhaltung  wichtiger ist als ein menschliches Schicksal, hätte durch seine Charakterzeichnung auch früher schon transparenter gemacht werden können. Er schien in seiner Betriebsamkeit immer so integer.  Die Beziehung von Lund mit ihrem Kollegen ist auch nicht besonders glaubwürdig. Es fehlt die gegenseitige Attraktion. Die nur äußerliche Zerbrechlichkeit von Lund, die Gene einer nordischen Rachegöttin in sich zu tragen scheint, macht sie aber zu einer interessanten Hauptfigur, obwohl ich sie selber nicht besonders sympathisch finde.

Den Milieus der Wirtschafts- und  Politikelite sowie dem aufklärenden Polizeiteam wird entsprechend den verschiedenen Rationalitäten jeweils eine andere Würde verliehen (hat die Davidstern/Hakenkreuz-Symbolik eine Bedeutung?) und es wird sich zeigen, ob die Personen auch entsprechend dieser handeln bzw. handelten. Wir wissen fast immer, wo wir uns befinden und welchem Regime die agierenden Personen unterstehen. Die Falschheit des Justizministers wird aber nicht gerächt und die Vertuschungen und das Mäandern von Lunds Liebhaber werden auch nicht ausreichend erklärt. Die illegitime Verzahnung von Politik und Wirtschaft bleibt am Ende bestehen. Ein Täter weniger, aber noch das gleiche System.

Die Staffel konnte die Spannung fast immer aufrechterhalten, erkaufte sich dieses aber mit einer paar unnötigen Schlenkern, wodurch der Handlungsteppich am Ende etwas dünn geworden ist. Die Personen wollen mehr sein als sie sind. Der Schein der Macht kann die spröde Herkunft aber nicht verbergen. Ich bin trotzdem einigermaßen zufriedengestellt, doch noch ein wenig von dieser dänischen Serie mitgenommen zu haben. Das hatte ich nach den ersten beiden Staffeln nicht erwartet. Das Ende war nicht zu abwegig. Der Täter achtete “deutsche Tugenden”. Der Rest wird der Fantasie überlassen. Mehr persönliche Ursachenforschung betreibt diese Staffel nicht. Ursachenforschung im Rückspiegel eines fehlenden skandinavischen Selbstbewusstseins? Die grausam-perverseTätermotivation huscht vorbei wie ein Taxi, das nicht anhalten darf. Wir sahen also nur die korrekte und loyale Oberfläche? Was will uns diese Staffel damit sagen? Dass Herrenmaschinen Monstermenschen sind? Die Botschaft würde ich schon verstehen, aber es wird dann doch reichlich viel Aufwand getrieben, um sie abzuschicken. Aber schließlich war es ja nur Krimi-Abendunterhaltung. In diesem Rahmen hat die 3.Staffel ganz passabel funktioniert.

Das blaue Palais – Das Genie (1974)

Diese Serie wird jetzt schon bald vierzig Jahre alt. Wenn man “Eigenständigkeit” nicht zu eng fasst und auch Eklektizismus mit eigenem Zugang noch unter dieser Kategorie einordnet, dann kann man dieses Prädikat dieser Serie sicher nicht verwehren. Sie gehört somit zur bundesdeutschen Fernseh-Nostalgie. Sie ist vom Ansatz und auch von der Umsetzung her interessant. Es geht vorrangig um Wissenschaft und Interkulturalität und wie die Seelen damit zurechtkommen. Sie ist aber etwas sperrig inszeniert und geht eigene Wege. Ich weiß nicht, ob sie im nichteuropäischen Ausland überhaupt verstanden würde. Sie trägt noch die Zeichen der (Zwischen-)Zeit. Nazi-Deutschland ist noch nicht ganz vergessen und die Zukunft zeigt schon ihre wild-wuchernde Seite. Deshalb ist auch der Titel der Serie stimmig. Ein  Gebäude, unter dessen Dach zusammen Wissenschaft betrieben wird, ist der namensgebende Ausgangspunkt. Wohin die Forschung führt, ist ungewiss. Die Möglichkeiten scheinen grandios. Die Wissenschaft als Fahrt ins Blaue. Es wird sich aber darum bemüht, einigermaßen wissenschaftlich plausibel zu bleiben.

Bisher habe ich nur den ersten Teil (“Das Genie”) gesehen. Den zweiten habe ich angespielt. Das Thema ist mir zu öde. Deshalb werde ich den zweiten Teil überspringen. Den ersten Teil fand ich thematisch interessant, obwohl an das Thema primitiv-fantastisch herangegangen wird. In “Das Genie” geht es um nonkommunikative Aneignung von Wissen und Talenten. Besondere Talente, die sowieso nicht mehr lange zu leben haben, werden ermordet, und um ihr Wissen und ihre Begabungen der Nachwelt zu erhalten, entfernt der Mörder ihr Gehirn und verleibt sie sich auf biologischem Wege ein. Die Wissenschaftler des Blauen Palais werden auf diese Machenschaften aufmerksam, weil der Mörder durch diese Talente zu einer populären Figur der Gesellschaft geworden ist, der seine neuen Talente offen zur Schau stellt und z.B. ein Musikstück auf genau dieselbe Art spielt wie der ermordete Pianist.

Diese Serie geht an das Thema primitiv-fantastisch heran. Sie geht es durch das Kommunikationsmedium Film nicht in der Form an, sondern direkt in der Handlung durch die Charatere mit dem extrahierenden Mörder als unumstrittener Hauptfigur. Die Handlung als Krücke. Wenn man das Thema in der Form angeht, dann müsste man die Übertragung des Wissens in den Bildern zeigen. Das Vor und Danach müsste deutlich werden. Eine Veränderung muss in der Wirklichkeit eingetreten sein, weil der Träger der Information gewechselt hat.

Stattdessen wohnen wir einer Suche bei.  Die Wissenschaftler, die auf den Fersen des “Genies” sind, forschen selber daran, wie man auf genetischem  Wege Talent und Wissen übertragen kann. Wie schafft es der Täter? Ihre Suche nach dem Täter ist also auch wissenschaftlich motiviert. Sie suchen den Weg zur nonkommunikativen Übertragung. Ein Genie ist jemand, der diesen Weg dem Schein nach gefunden haben könnte. Er kann sich aber das Wissen von anderen auf einem Gebiet kommunikativ schnell aneignen und ist kurz darauf in ihm so gewandt und fortschrittlich, dass sich das andere nicht erklären können. Unser Mörder ist also gar kein Genie, sondern Fake, weil er dieses gerade (zumindest in den verschiedenen Gebieten) nicht zu seinen Eigenschaften zählt. Er ist der Mörder der Handlung, weil er Fake ist.

Die Suche nach der Wahrheit führt uns dann nach Japan. Eine rumänische Wissenschaftlerin des Blauen Palais begleitet den Mörder nach Japan und entwickelt dort ein Verständnis für ihn und die japanische Kultur, nachdem sie einen weiteren Mord nicht verhindern konnte. Diese Serie wird damit explizit zur Bildungsreise. Auch wir lernen wichtige Begriffe (wenn  man sie nicht schon kannte) der japanischen Lebensart (Zen, Satori, die Bedeutung des Fuji) kennen. Das findet einerseits etwas bildungsbürgerlich und oberflächlich statt. Andererseits atmet diese Serie den Geist der Zeit. Sie stellt ihre Akteure in die Zeit, dass sie auf eine praktische Weise mit der eigenen und der japanischen Kultur konfrontiert werden und nicht nur von der perfekt umgesetzten Handlungskonzeption her. Das Nichtperfekte als Weg. Das Nichtperfekte als der festgehaltene Imperfekt des Films.

Die Handlung ist im Ganzen stimmig. Der erwischte Täter handelt am Ende kurzschlussartig. Er springt in den Tod. Zur Strafe wird sein Gehirn entnommen und muss fortan dem Blauen Palais dienen. Wie grausam doch diese Pointe ist! Doch wie hat es der Täter nun gemacht? Wie hat er das Wissen auf biologischem Wege extrahiert? Das erfahren wir in diesem Teil nicht. Aber vielleicht sind wir ja die Genies!

Das blaue Palais – Das Medium (1974)

Der dritte Teil der Serie ist noch besser als der erste. Er ist visuell flüssiger erzählt. Das hat auch einen thematischen Grund. Im ersten Teil war man auf eine alte Hauptfigur fixiert, die nahm. Im dritten Teil gibt die junge Hauptfigur. Sie muss kein Leben auslöschen, um sich ein Talent anzueignen, sondern besitzt Ahnungen, die sich andere zunutze machen wollen – ihre Rockerfreunde oder eben die Wissenschaft.

Wieder wird interessant an die Geschichte herangegangen. Eine sympathische Naivität im Umgang mit Wissen und Fortschritt zeichnet diese Serie aus. Sie stellt den Menschen in den Vordergrund. Hier eine junge Frau, die Ereignisse in der Zukunft voraussagt und z.B. einen Filmprojektor mit ihrem Geiste in Brand setzt.

Interkulturalität ist erneut ein wichtiger Bezug. Im ersten Teil war es Japan, im dritten Teil ist es Thailand und seine buddhistische Mönchskultur. Im ersten Teil war der wissenschaftliche Bezug die Biologie und die genetische Vererbungslehre, im dritten Teil ist es die Beziehung zwischen der Physik und ihren Grundvariablen Zeit und Raum und der Parapsychologie. Die junge Frau durchkreuzt die Regeln der Physik wie das Genie im ersten Teil die Vererbungslehre für eigene Zwecke adaptiert. Sie sieht die Dinge und Geschehnisse vorher in ihrem Kopf. Sie ist aber der Welt und nicht der Zeit voraus und geht die Zeit hinauf und herunter wie einen Berg. Der Raum wird durchlässig, Träume werden Gebilde. Menschen wissen voneinander.

Schon im ersten Teil ging es ansatzweise um Kontemplation als Weg zur unbewussten Verbindung von menschlichen Psychen.  Im dritten Teil wird dieses Thema gekonnt ausgebaut. Die junge Frau ist selbst erstaunt über die Verbindung zu der anderen Realität des sich in Klausur befindlichen kleinen Mönchsjungen in Bangkok. Der letzte Bezug des menschlichen Rätsels ist somit eine noch jüngere Figur und sehr viel weiter kann man nicht in der Ontogenese zurückgehen, insofern es noch um Erinnerbares geht.  Je weiter man in der Kindheit zurückgeht, desto weniger und ungenauer kann man sich an die Geschehnisse erinnern. Sobald man auf Erinnerbarem aufbauen kann, kann man in eine Schule geschickt werden. Dass dieses mit einem Schrecken verbunden ist, wird von diesem Film in einer intuitiven Art und Weise thematisiert.

Doch dieser Teil geht noch weiter zurück. Im vierten Teil geht es dann konsequenterweise um Unsterblichkeit. Das Davor wird dann von dem Danach ausgelöscht. Der dritte Teil kann aber nicht bewusst bis zur eigenen Geburt zurückgehen, ohne zu lügen. Sondern er muss genau das wagen, was ich im ersten Teil vermisste. Er muss die Geschichte nicht nur über die Charaktere erzählen, sondern auch über die Bilder direkt. Das Mönchskind geht in einen Raum und stellt sich neben eine große Buddhafigur. Die Hellseherin und der Wissenschaftler gehen nicht hinein. Sie wissen nun Bescheid.  Der Charakter ist zwar immer noch präsent, doch der Raum  und die Geistigkeit der Erzählung werden wichtiger. Der Bilderfluss als Seelenwanderung.

Innere emotionale Distanzen und äußere Distanzen zwischen den Menschen kommen ins Spiel. Eine Motorradgang fährt zum blauen Palais um ihre Goldeselin zurückzufordern, die Lottozahlen vorhersagen kann. Die Urgewalt ihrer Psyche blitzt auf und stürzt sie in einen Erschöpfungszustand. Sie flieht dann auch aus der Eigenwelt ihrer psychischen Erforschung und verunglückt mit ihrem Freund bei einem Motorradunfall. Der Verlust ihrer mentalen Sonderkräfte stellt die Verbindung zur Realität des Zuschauers auf eine natürliche Weise wieder her.

Das blaue Palais – Unsterblichkeit (1976)

 Wie beim ersten Teil geht es im vierten Teil um Genetik. Das Erbgutmaterial wird mit den Zellteilungen kürzer. Mit Hilfe eines Virus wird Genmaterial in alle Zellkerne des Körpers transportiert und die Information in die Chromosomen eingebaut,  die die Produktion eines Fermentes steuert, das die Verkürzung ähnlich wie in Keimzellen verhindert. Unendlich viele Zellteilungen können nun stattfinden. Damit werden Lebewesen unsterblich.

Schon in den frühen 60er Jahren entdeckte Leonard Hayflick, dass nach einer begrenzten Anzahl von Zellteilungen der programmierte Zelltod eintritt, wenn die Telomere an den Chromosomenenden eine kritische Länge unterschreiten. Jenes Ferment soll die Verkürzung in der Fiktion stoppen.

Der vierte Teil widmet sich fast ausschließlich der Wissenschaftskritik und eher hintergründig dem Thema der Interkulturalität (das Babylon der wissenschaftlichen Fach-Vielsprachigkeit vs. die Einfachheit des Übergangs vom Genotyp zum Phänotyp). Darf man das – Menschen unsterblich machen? Irgendwie wird das Thema auch in der Form angegangen – nur leider negativ. Der vierte Teil ist so unspannend wie das ewige Leben. Bei einem psychologischen Experiment im blauen Palais stellt sich heraus, dass Menschen ihre Antriebe verlieren, wenn sie mit ihrer Unsterblichkeit rechnen. Sie haben soviel Zeit, dass sie sich nicht mehr beeilen müssen. Sie können alle Bücher der Welt in allen Sprachen lesen, die sie alle lernen können, oder an allen Stränden der Welt einmal oder sogar millionenmal surfen.

Aber werden sie die Erfahrungen überhaupt machen, wenn sie wissen, dass es keine biologischen Grenzen mehr für sie gibt, die das Alter setzt ? Ich meine: ja. Der Film sagt jedoch nein. Die Unendlichkeit mache das Leben zu einem so hohen Gut, dass man jedem Risiko aus dem Wege geht, der es auf unnatürliche Weise beenden könnte. Der Wahlspruch “Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!” wird zu “Was du irgendwann kannst besorgen,  das passiert niemals!”. Es passiert aber trotzdem. Nur  merkt man es nicht. So sitzen in dieser Folge die Menschen mit der Fahrkarte zur Ewigkeit in ihren Räumen und warten auf den Zug, der nie abfährt, weil seine Fahrgäste schon angekommen sind.

Haben Sie in diesen Räumen auch Fernseher? Die Isolation, die mit der Erwartung der Unsterblichkeit verbunden sein soll, ähnelt der Isolation der in verschiedenen Räumen Fernsehenden, die ihre Zeit vielleicht auch zusammen verbringen könnten. Die Wissenschaftskritik wird zur Mediumkritik. Auf dem Bildschirm sieht man das eigene Leben. Nicht am Ende des Lebens zieht das Leben am “inneren Auge” des Menschen vorbei, sondern man hat den Punkt des Todes schon überschritten und blickt vom sozialen Jenseits auf das Leben, das man hätte führen können.

Wenn man nur selber unsterblich ist, alle anderen jedoch nicht, entstehen Dringlichkeiten durch die begrenzten Lebenszeiten der anderen. Wenn alle unsterblich sind, dann kann man Kontakte unendlich aufschieben und wird sich irgendwann vielleicht doch begegnen – in hundert oder zweihundert Jahren vielleicht. Wenn der Unsterblichkeits-Virus nicht nur alle Zellen des Körpers befällt, sondern auch alle Menschen wie die Ausstrahlungen die Fernsehantennen, dann wird jeder Kontakt zur Seuche, mit deren Heilmittel man schon geboren wurde. Wenn wir fernsehen, wissen wir dann, wieviele andere außer uns noch fernsehen? Können wir das wissen oder sehen wir automatisch mit der Gattung fern?

Aber warum sollte ein ewiges Leben langweilig sein? In der Tat ist der vierteTeil nicht besonders spannend. Der schottische Genetiker, den die Wissenschaftler des blauen Palais aufsuchen, hätte die charismatische Gestalt sein können, die diesem Teil ein bisschen mehr Verve verpasst hätte. Im Jahr der Sendung dieser Folge hatten drei andere Schotten mit ihrer Band AC/DC ihre erste internationale Album-Veröffentlichung, die vielleicht genau den fehlenden Verve besitzt. Der Genetiker sieht in seiner Erfindung die Gefahr, dass die Erde an der Überpopulation ersticken könnte. Wenn Menschen nicht sterben, treten sie sich irgendwann tot. Deshalb hält er sie geheim.  Kollegen seiner Zunft von der Universität Cambridge fahren in diesen Fragen noch eine härtere Linie und wollen seine Forschungsergebnisse unter Verschluss halten.

Wenn die Subjekte der Überpopulation jedoch fernsehen, treffen sie sich erst gar nicht und machen auch keine gemeinsamen Erfahrungen mehr. Also ist das Fernsehen so eine Art Aufschub, ein Reflexions-Intermezzo, dass die Menschen zu Göttern ihrer Zukunft macht. Der Tod wird wählbar. Nicht durch Selbstmord wie in diesem Teil, sondern durch die Entscheidung jetzt zu sterben, indem man den Moment verpasst zu leben. Wenn man also dem Selbstmord der unsterblichen Wissenschaftlerin in diesem Teil zuschaut, sieht man sich selbst zu, wie man den vergangenen Moment erlebt, der fortbesteht. Die Erwartungen der Anderen an die zum Experiment gewordene Wissenschaftlerin kommen von allen Seiten, ohne dass es eine Gegenwart gäbe, die sie zurückhalten könnte.

 Der fiktive Selbstmord ist (wie ein AC/DC-Riff?) der willkürliche Abbruch, mit dem sich die Handlung dieses Teils eingesteht, dass etwas geschehen muss, damit die Erfahrungslosigkeit aufgebrochen wird und die Person wieder für sich da ist. Die Person auf dem Bildschirm ist nicht echt. Wenn sie stirbt, kann  sie nicht mehr irreführen, kann sie nicht mehr vorgeben zu leben. Die Botschaft dieser Folge lautet: “Sei selbst das Medium!”

1976 war das Jahr des Punk. Punk war die Jugendbewegung, die diese Botschaft ebenfalls hörte und sich entsprechend dressierte. Die Trostlosigkeit, die einsetzt, wenn eine Band wie Joy Division einen Schritt weiter geht und den Körper selbst zur Maschine werden lässt und sich so dem Medium anpasst, in dem die Seele “erscheint”, wird in diesem Teil schon angedeutet.

Der schottische Erfinder der Unsterblichkeit aus dem Clan der Mackenzies wollte seine Erfindung aufgrund seiner Überpopulationsparanoia nicht weitergeben. Nach seinem Tod lebt jedoch durch seine Aufzeichnungen die Möglichkeit fort, die Unsterblichkeit durch einfache Injektion eines Virus zu erlangen. Mach den Kasten an und die Illusion wird wieder die Vergangenheit zur Zukunft machen – ohne in der Gegenwart Halt machen zu müssen (bilden “Live”-Sendungen hier eine Ausnahme?).

Die Maschine ist in dir selber drin. Es ist dein Genmaterial, das schöpferisch ist, ohne dass man selber tätig werden muss. Diese Maschine wird mit jedem bewegten Bild zerlegt und wieder zusammengesetzt. Wollt ihr jetzt ewig leben? Dann müsst ihr sterben, bevor das Licht eure Netzhaut mit Informationen träufelt, die in euer Gehirn durchsickern wie Magma durch Beton. “Punk ist tot” bedeutet “Punk lebt”. Doch das ist alles nur Kitsch gegenüber der Souveränität des Todes, der den Menschen ereilt, der seine Stunde nicht kennt. Die Souveränität beweist der Tod an dem Wissenschaftler, der das Leben in seiner Qualität höher schätzte als das Leben in seiner Quantität. Über den Clan, dem er angehörte, erfährt man einige interessante Details. Eine Burg dieses Clans (und ihrer Alliierten, des Clans der Macrae) ist einer der Schauplätze der Handlung.  Als ein Earl of Seaforth ein anderes Herrschaftsgebäude seines Clans einreißen wollte, kamen die tapferen Mackenzies geschlossen zu ihm und sagten: “Weisere Männer als Ihr erbauten dieses Schloss – Ihr solltet es nicht niederreißen!”

Der vierte Teil war so heavy, dass ich mir vom fünften Teil nichts mehr erwarte. Das Thema des fünften Teils ist aber auch interessant. Er dreht sich  u.a  um die Macht von multinationalen Konzernen. Die Umsetzung scheint nicht unmodern zu sein. Die für mich wesentlichen drei Teile der Serie habe ich besprochen. Sie bilden für mich eine Einheit. Es geht wesentlich um Kommunikation: im ersten Teil um Eigen- und Fremdkommunikation, im dritten um Weltkommunikation und im vierten um Selbstkommunikation.

 Game of Thrones – Staffel 2 (2012)

 Diese Serie muss man sich nicht ansehen und sollte es vielleicht auch nicht. Geschadet hat es mir aber nicht. Die erste Staffel war mir zu dumm. Von der Einführung in eine Fantasy-Geschichte kann mich nichts lernen, wenn sie so offensichtlich an der Realität vorbeigeht. Flucht aus der Wirklichkeit – hier findest du sie. Ich habe die erste Staffel nur angespielt. Das Wesentliche über diese Pseudo-Herrscher-Saga habe ich mitgekriegt, sodass ich bei Beginn der zweiten Staffel ausreichend informiert war.

Im Grunde gibt es nicht viel zu berichten. Dem Wunsch der Fernsehzuschauer nach Zerstreuung wird nachgegeben. Erotik wird zumeist karikiert. Ich habe schon schönere unverhüllte Frauenkörper als die in dieser Staffel gesehen. “Game of Thrones” lebt davon, dass die Figuren nicht der idealen Normalität entsprechen. Eine Hauptfigur der zweiten Staffel ist der Zwerg Tyrion. Ihm wird am meisten Raum gegeben. Bei allen Handlungssträngen ist eine klare Hauptfigur auszumachen. Die Geschichte spielt in verschiedenen Pseudo-Kulturen und Herrschafts- konstellationen gleichzeitig. Die Gesamtherrschaft ist aber das Ziel. Magie ist auch im Spiel. Sogar Drachen kommen vor. Mit der Trennung semitischer und nicht-semitischer Elemente nimmt man es nicht so genau.

Der Zuschauer wird mit seiner ganzen Schadenfreude und seinen niedrigen Gelüsten angesprochen. Intrigen und Mordlust gibt es hier zuhauf. Diese Serie macht sich überhaupt keine Illusionen über das Wesen des Menschen. Der unschuldigste Charakter ist ein bewegungsunfähiger Junge, der vielleicht  irgendwann die Legitimität der Herrschaft auf seiner Seite haben wird. Der Zwerg Tyrion steht irgendwo dazwischen. Er kennt beide Seiten, ist nicht ganz schlecht, aber auch nicht der Gute. Er ist die Hand eines bösen jugendlichen Herrschers und seiner Inzestsippe. Neben Inzest findet man in dieser Serie noch Homosexualität, Androgynität, Folter und Gemetzel. Ich würde “Game of Thrones” sogar erst ab 18 freigeben. Mehr als einmal wird ein Mensch einfach in der Mitte durchgehauen. Das wird sehr “plastisch” in Szene gesetzt.

Mir war von Anfang an klar, dass ich von dieser Staffel nicht viel mitnehmen kann. Dafür waren ihre Absichten zu eindeutig. Sie hat es auf hintergrundloses Schocken abgesehen. Unmoral als Stilmittel. Zwischendrin scheint aber manchmal ein belehrender Realismus auf, der nicht ganz ohne Lebensweisheit daherkommt. Wenn z.B. die betrunkene Königsmutter die Schwiegertochter in spe darüber aufklärt, dass es schwächt, wenn man zuviele Menschen liebt. Das kann man selbstreferentiell auch so auslegen, dass man sich nicht zu sehr emotional in das Handlungsgeschehen und das Spiel der Figuren verstricken soll. Aber das kann man eh nicht. Einen Überschuss sucht man vergeblich. Wenn man einen Zapfhahn am Fernseher anbringen könnte und das fremde Blut dem Zuschauer mundet, dann besäße “Game of Thrones” sogar noch ein Gimmick mehr.

The Wire – die fünfte Staffel (2008)

 Die letzte Staffel ist wieder flüssiger erzählt. Es herrscht meist ein ruhiger Erzählton vor. Das ist besonderes passend für eine letzte, fünfte Staffel. Es ist die Filmzeit des Resümees. Am Ende kommt dann eine neue Generation zum Zuge beziehungsweise neue Leute besetzen die alten Posten, ohne dass man die Hoffnung haben kann, dass sich grundsätzlich etwas ändert.

Mir gefällt die letzte Staffel so gut wie die erste. Der flüssige Erzählstil wird zwar wieder mit ein paar Logiklöchern erkauft, aber das erste Mal kann man nicht behaupten, dass Seitenwege grundlos eingeschlagen werden. Dass die Seitenwege gerade durch McNulty beschritten werden, hat einerseits etwas Befreiendes, andererseits zeigt die Serie dadurch auch, dass der Unsinn seinen Platz im Kern einer Geschichte nicht freiwillig räumt. Die Lügen von McNulty testen außerdem die Methoden des investigativen Journalismus.

Die letzte Facette von Baltimore, der sich “The Wire” intensiv widmet, betrifft das Pressewesen. In diesem Bereich ist David Simon ein Insider, da er selber für die “Baltimore Sun” geschrieben hat.  Ich finde, er hat das Milieu des Zeitungsjournalismus gut getroffen. Die fünfte Staffel besitzt die rundeste Geschichte von allen Staffeln. Die Story hetzt nicht alle Charaktere zum finalen Schuss, sondern sie kehrt zu sich selber zurück – in einem ruhigen Ton, der teilweise an die Milieuschilderungen von Spike Lee erinnert.

Doch es bleiben auch Opfer zurück. Omar trifft es. Ein Himmelfahrtskommando wartet auf ihn. Er kann gerade noch durch einen waghalsigen Sprung entkommen. Doch obwohl er genug Geld hat, um Komplizen anzuheuern, macht er auf hinkend-rächenden Einzelgänger, den es dann irgendwann treffen muss. Ein lakonisches Ende ist für ihn vorgesehen. Der Tod als triviales Gut einer unbarmherzigen Erzählperspektive. Etwas enttäuschend ist auch der Werdegang des weißen  Bürgermeisters, der kaum noch eigene Charakterzüge aufweist, sondern lediglich als eine Marionette des Systems dargestellt wird.

Das sind aber nur kleine Mängel. Das größte Risiko geht die Story mit dem Vabanque-Spiel von McNulty ein, an dem sich unverständlicherweise auch die Code-Sphinx Lester Freamon beteiligt, der sonst eigentlich der integerste Polizist sein soll, derjenige, der an den Fakten dran bleibt, aber auch Phantasie besitzt.  Diesmal führt ein Irrweg zu einem vorübergehenden Erfolg und dem Zuschauer werden die Grenzen der journalistischen Wahrheitsfindung vor Augen geführt.  Die Opportunitätskosten werden aber ausgeblendet.

Nur die wirklich intelligenten Menschen können das System verarschen, ohne sich selbst zu verarschen. Das System wird auf McNulty aufmerksam. Er scheitert knapp, weil er eine Person zuviel eingeweiht hat. Es ist genau die Person, die in der ersten Staffel knapp ihrer Ermordung entgangen ist. Gerade sie soll das System der Polizeiarbeit vertreten, das ins Wanken geraten würde, wenn man bei der Beweisfindung erfinderisch vorgeht und sogar Fälle konstruiert.

Ich finde den Abschluss der Serie gelungen. Meiner Ansicht nach besitzt sie zwar offensichtliche Mängel, doch sie steht mit dem angestrebten Realismus ziemlich alleine in der Serienlandschaft dar. Ich finde das Projekt “The Wire” insgesamt lobenswerter als das Projekt “Breaking Bad”. “The Wire” stellt die Probleme der Menschen in den Mittelpunkt der Kunst des Geschichtenerzählens – auch wenn einige Täler beim Betrachten der Serie zu durchschreiten waren. Ein bisschen Licht scheint auch in das tiefste Tal. Manchmal auch an einer (Straßen-) Ecke vorbei.

 Die Borgias – Staffeln 1 und 2 (2011/2012)

Geschichte wird hier nicht ernst genommen. Die Umgangsformen waren früher zwar anders, doch es geht hier eher um die Darstellung. Die Schauspieler bleiben in ihrem Spiel erkennbar. Die Räumlichkeiten, das Licht und die Ausstattung geben der Serie einen passenden Rahmen. Aber er wird nur mit Oberflächlichkeiten (den üblichen Intrigen, Ränken, Affären, etc.) ausgefüllt.  Die Leinwand der Phantasie bleibt leer. Es geht um einen Papst und seine Familie. Der Papst interpretiert den Auftrag des Papsttums frei oder gar nicht. Der Selbstzweck heiligt die Mittel.  Die Institution der Kirche dient nur als doppelter Vorwand für die Machtspielereien der Figuren bzw. für die Spielmachereien ihrer Bildner. Der Stolz auf die spanische Herkunft verpflichtet (warum?, inwiefern?) und ein bestimmtes strategisches Denken, das eigentlich in die weltliche Sphäre gehört, leitet das dynastische Vorgehen des Borgia-Papstes. Diese Serie ist nur etwas für Leute mit langer Weile. Ich selber habe nur die ersten drei Teile der ersten Staffel ganz gesehen. Den Rest der ersten Staffel und die gesamte zweite Staffel habe ich nur angespielt. Neil Jordan hat mit dieser Serie nichts Großes geleistet, vor allem Geld verbrannt und vielleicht die Zeit vieler Zuschauer verschwendet. Dass man in dieser Serie etwas über “die ursprüngliche  kriminelle Familie” erfährt, trifft nicht zu. Nur die Umstände sind besonders, nicht aber die Personen. Den Figuren fehlt es an Tiefe. Die schmunzelnde Weltsicht des pragmatischen Papst-Oberhauptes seiner Familie befriedigt keine Neugier, sondern nur die Selbstzufriedenheit einer Kultur, die man eingeschlossen hat. Der Schlüssel ist auch nicht mehr auffindbar. Er wurde weggeworfen. Für die Nutzung des elektronischen Sehgerätes wird er nicht gebraucht.

 Breaking Bad – die fünfte Staffel/1.Hälfte (2012)

Die Story von Breaking Bad muss nun ihr Ende finden. Die fünfte Staffel ist die finale Staffel. Der Trash, der der vierten Staffel noch gut tat, kann der fünften Staffel deshalb nur schaden. Immerhin soll diese Serie etwas repräsentieren, was die Fernsehlandschaft revolutioniert und dafür muss sie natürlich ernst genommen werden. Walter White muss in der fünften Staffel der Psychopath sein, für den man ihn schon nach den ersten beiden Staffeln halten musste.

Aber warum sollte uns die Herstellung des superreinen Meths überhaupt interessieren? Die Amerikaner sind die Besten und auch bei den Reinheitsgraden ihrer Drogenprodukte sind sie dem Rest der Welt noch weit voraus. Deshalb muss es dann auch noch in die Welt exportiert werden (5% aller Tschechen sind Meth-Konsumenten?). Walter White lässt sich etwas einfallen, um das Drogenkochen geheim zu halten und um an die Rohstoffe heranzukommen. Er zeigt auch auffallend wenig Skrupel bei der Ausschaltung der Mitwisser. Trotzdem scheint er nach außen der Normalo zu bleiben, dem man sogar abnimmt, dass er wegen Eheproblemen flennt.

Ich hatte noch ein paar andere Wendungen erwartet und bin etwas enttäuscht.  Ted Beneke ist doch nicht tot und Gus ist es wohl. Umgekehrt hätte es mir besser gefallen, obwohl die Figur des Ted Beneke eher unwichtig ist. In der ersten Hälfte der fünften Staffel wird sie noch für ein paar Alibi-Erklärungen gebraucht. Breaking Bad bleibt ohne Zweifel eine besondere Serie, aber die Flucht in Superlative kann nicht über eine innere (moralische?) Leere hinwegtäuschen. Walter White sr. ist der Sündenbock. An ihm bleibt diese Leere hängen. Bei ihm holen sich die Schöpfer der Storylinien ihre Absolution. Das ist wenig überzeugend, wie ein Reifen mit einem mittelkleinen Loch, für den man kein Flickzeug hat und den man immer wieder zum Weiterfahren aufpumpen muss.

Downton Abbey – die dritte Staffel (2012)

Erst bei Folge drei wurde ich wieder vom Erzählfluss dieser Serie mitgerissen – wenn auch nicht leidenschaftlich. In dieser Serie gibt es die Zweiteilung in Dienerschaft und Herrschaft und die Herrschaft erstarrt, wenn die Masse regiert. Die Herrschaften dürfen noch posieren. Von der Masse kriegen wir (inkonsequenterweise?) wenig zu sehen. Ist sie in England beherrschbarer? Der herrschaftliche Adel hat verlernt zu trauern. Nach dem Tod der schönsten adligen Tochter gibt es keine richtige Traurigkeit bei ihrer Familie . Was geschieht stattdessen im Inneren? Bei der Masse Anpassung an die äußere Fülle, beim Adel Anpassung an die innere Leere.  So bekommt jeder, was er braucht. Die Dienerschaft gehört nicht zur Masse, entzieht sich dieser Logik und ist noch im Leben.

Das aristokratische Regiment über Schloss und Land kann noch durch eine Finanzspritze aufrechterhalten werden. Der adlige Hausherr darf noch ein halber Herr bleiben. Der Einbruch der Moderne ist immer schwierig darzustellen – wenn eine alte Ordnung durch eine neue Ordnung ersetzt wird. Eine rationalere Bewirtschaftung der Landfläche ist vonnöten, damit das Schloss unterhalten werden kann und die herrschaftlichen Bedürfnisse befriedigt werden können.

Es wird also eigentlich langweilig. Aber es werden auch neue Verbindungen und Bande geknüpft. Wie das in die Landschaft gesetzt wird oder die Dienerschaft sich auf dem Jahrmarkt amüsiert, ist noch ganz drollig. Die Kernhandlung bezüglich der Herrschaften wird jedoch zunehmend dünner. Zwei Kinder werden geboren.  Der hinterhältige Diener macht eine homosexuelle Annäherung und darf danach zum Menschen mutieren. Er wird nicht aufgrund seiner Andersartigkeit(?) ausgeschlossen und kann auch uneigennützig handeln. Seinen Trieben gemäß?

Und: speist der langweilige, nur äußerlich rebellische Chauffeur (als Alibivertreter einer Massen-Identität), der in die herrschaftliche Familie eingeheiratet hat,  bei den Dienern? Das ist eine der strategisch wichtigsten, vorgeschobenen Fragen der Serie. Es fehlen die Konvulsionen. Nach Konvulsionen stirbt die herrschaftliche Tochter. Aber der Adel macht eher halbgar weiter. Die philosophische Dekadenz hält in Form der rationalen (Dreh-)Buchführung Einzug. Die herzliche Wärme des Oberdieners hält die emotionale Ordnung noch zusammen, wenn der Adel sein Menschsein nur noch durch Reproduktion aufrechterhält.

Nicht ganz schlecht, aber weniger befriedigend als die ersten beiden Staffeln  ist die dritte Staffel von Downton Abbey, wenn man sich überhaupt für eine solche Serie interessiert.  Serviert wird dieses Seriengericht aber lauwarm. Der Übergang von der alten Ordnung zur neuen Ordnung überzeugt nur in der glaubwürdigen Kontinuität des Verhaltens der Dienerschaft. Die Figuren der Herrschaft bieten dagegen dem Strom der Geschichte kaum noch Widerstand – charakterlich fahl und hohl. Liebesgesäusel macht die fehlende Authentizität nur fühlbarer.

Weil mich der Stoff zu wenig fesselt, habe ich es nach kurzem Anspielen der vierten Staffel sein gelassen, die Handlung von “Downton Abbey” weiter zu verfolgen.

Breaking Bad – die fünfte Staffel/2.Hälfte (2013)

Die letzten vier Teile von Breaking Bad haben mir gut gefallen, inkl. der schauspielerischen Leistungen. Bis dahin war es ein bisschen zäh. Anstatt die Story in einem Wohlgefallen ausklingen zu lassen, gibt es noch ein paar Ortswechsel und Walter White Sr. beginnt ein letztes Mal zu leben – wofür er krimineller Handlungen bedarf. Kann man nicht auch etwas Gutes tun und sich dabei lebendig fühlen? Mitleid mit Kriminellen darf man nicht haben, sonst wird man ihr erstes Opfer. Wer hat hier Sympathie verdient? Viel abgefeimtes pseudocooles Gesindel oder einfach garstiges Überleben des Stärkeren. We are the only ones and not the holy ones.

Viele schicke Interieurs werden auch gezeigt. Darf ich mir eine Bleibe aussuchen? Die von Elliott und Gretchen Schwartz gefällt mir auch nicht schlecht. Es werden Ansprüche geweckt und sogar Träume illustriert. Doch der Hintergrund ist rohe Gewalt. Die unvorzeigbare Unkultur der inneren Natur reibt sich an der vorzeigbaren Unnatur der äußeren Kultur. Einmal durch das leere Schneckenhaus geschossen. Gebaut wird heute schnell.

Walter White Sr. lügt in dieser Staffel besonders dreist. Er dient damit nur den Interessen der Story. Die Video-Botschaft ist noch ganz amüsant. Ein rational handelnder Mensch ist Walter White Sr. aber nicht. Er ist das Opfer seiner selbst, das sich nicht selbst erschießen kann und wir müssen ihm dabei zusehen. Die Existenz macht einen letzten Schlenker. Der Mad Scientist rächt sich an seinen Reagenzien. Er ist noch da. Sie sind schon tot. Dann ist es da – das Ende, das die Anfänge enthält, wie die Blüte den Nektar. Und wir begreifen, dass es noch ein anderes Ende geben muss. Ein alternatives Ende im realen Leben, das ohne Handlung auskommt.

Hit & Miss (2012)

Diese Serie ist außergewöhnlich, weil die Hauptfigur transsexuell ist. Eine Frau im Körper eines Mannes, der immer noch seine männlichen Genitalien besitzt, Hormontabletten schluckt, oben Weib, unten aber noch Mann ist. Zudem ist er/sie noch ein Profikiller. Die Nacktaufnahmen von Chloë Sevigny mit angeklebtem männlichen Genitalien haben für eine Fernsehproduktion etwas Schockierendes. Eine Identifizierung scheint von vornherein ausgeschlossen. Aber die Schauspielerin Chloë Sevigny ist als Frau mit ihrer fürsorglichen, mütterlichen Seite immer erkennbar.

So “extrem” wie das Thema ist die Durchführung noch lange nicht. Das Angeklebte gehört nicht zur Identität von Chloë Sevigny. Die Story würde auch ohne Transsexualität funktionieren. Die transsexuelle Profikillerin muss sich in der Serie nach dem Tode seiner/ihrer ehemaligen Partnerin um seinen/ihren Sohn und seine Halbgeschwister kümmern. Chloë Sevigny spielt gut und ein Schein von Transsexualität (in die andere Richtung) könnte sich aus der eigenen Reflexion ergeben. Auf den wirklichkeits- und identifizierungsfeindlichen Aspekt der harmonisierten Transsexualität kann verzichtet werden, wenn sie aus bestimmten anderen konfliktgenerierenden Gründen dazu gezwungen werden würde, sich z.B. um Waisen zu kümmern. Sie und diese Patchwork-Familie könnten zueinanderfinden, ohne dass ein Kind von ihr dabei wäre.

Das zweite Schockelement ist der Beruf des Profikillers. Auch dieser Erzählstrang hat starke Schwächen. Die einzelnen Killerjobs sind Zäsuren ihrer zunehmenden Familienintegration. Sie symbolisieren das Unterbewusstsein (, das eine Transsexuelle nicht oder “vorher” noch anders besitzt?). Nach außen wirkt die Profikillerin allerdings wie ein Teenager in der Protestphase, der seine Umwelt mit Liebesentzug bedroht. Ich halte auch dieses Storyschiene im Grunde für überflüssig. Ersetzbar wäre sie durch die weniger “coole” Oszillation von desintegrierenden und integrierenden Elementen innerhalb einer gemeinschaftlichen Struktur inkl. einer weniger aufgesetzten Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit.

Diese Serie kann auch mit einigen David Lynch-Momenten aufwarten und will durch den vermehrten Einsatz von Musik (u.a. Joy Division) in dem letzten Drittel der ersten und einzigen Staffel noch eine Coolness erlangen, die eines soliden Fundaments jedoch entbehrt. Die menschliche Seite des Patchworkfamilienzusammenhangs ist jedoch gut in Szene gesetzt – mit einer überzeugenden Hauptdarstellerin. Das Ambiente der kargen Graslandschaft mit dem alleinstehenden Haus, in dem die Familie sich zusammenrauft, trägt zur Identifizierung mit dem Geschehen bei. Wenn ein Kind von einem fremden Erwachsenen weggeführt wird, ist es in der Realität jedoch so gut wie nie ein “verdeckter” Verwandter. Auch in der Fiktionalität sollte man eher warnen, anstatt die absolut nichtrepräsentative Ausnahme vorzuführen. Insgesamt machen entgegen den anfänglichen Erwartungen die Bilder und Worte jedoch Sinn, wenn man Transsexualität und Profikillerjob als vernachlässigbare Bestandteile der Story ansieht.

From Dusk till Dawn, 1.Staffel (2014)

Diese Serie nimmt die Idee des gleichnamigen Films von Robert Rodriguez auf. Er zeichnet nicht nur auch für die Serienfassung verantwortlich, sondern sie wurde sogar auf seinem Fernsehkanal “El Rey” in den USA gesendet. In Deutschland ist sie bei Netflix “abrufbar”. Leider ist die deutsche Synchronisation wirklich mies. Ikonologisch gibt sich die Serie Mühe, wenn es um die Stimmigkeit der Bilderfolgen geht. Die Einfälle von anderen Filmen werden dann gerne ‘mal kurzerhand übernommen. Trash gebiert Trash. Da ist man (bzw. ist Robert Rodriguez) nicht wählerisch.

Diese Serie hält auch einen mythologischen Hintergrund parat. Die weibliche Hauptfigur in diesem Mythos wird von einer Latina-Schönheit dargestellt, die genug leidenschaftliche Präsenz auf den Bildschirm bringt. Sie besitzt ein ebenmäßiges Gesicht mit scharf geschnittenen Gesichtzügen. Man nimmt ihr gerne die Schlangenvampyr-Dschungel-Göttin ab, die in einem Tempel aka Bikerclub als ihrem ewigen Gefängnis eingesperrt ist, dem sie nur durch die Hilfe eines mental gehandicapten, meuchelnden Psychopathen entfliehen kann, der wie der Bibelverkäufer aus dem Nachbardorf aussieht.

Nur das Schräge ist wahr in der Fiktion, deren Lebensdauer durch das Starren auf das Feuer begrenzt wird. Wenn die Scheite ausgehen, bleibt nur die Erinnerung an die Wärme bzw. an den Sex. Durch den Vampyrbiss lebt man ewig. Erinnerungen verlieren ihren Wert. Latino-Eindringlichkeit gibt es in dieser Serie in Form der Loyalität gegenüber dem Unsterblichen.

Die Story selber: wenn man nichts erwartet, kann man auch nicht enttäuscht werden. Wenn man sich dem Fluss der Bilder übergibt, jede Storygläubigkeit über Bord wirft und die schlimmste Grausamkeit gegen Frauen nur als symbolisch für die vollkommene Verrohung der Sehgewohnheiten nimmt, kann man bis zum Tempelhöhlengänge-Level vorstoßen. Nicht der Film ist ja schlecht(?), sondern nur die Handlung wäre es, wenn sie wirklich real wäre, was durch den Sinn und den Gestus des Gezeigten so gut wie ausgeschlossen werden kann. Der Zuschauer bleibt unschuldig und kann sich unterhalten fühlen – oder auch nicht.

“House of Cards” – Staffeln 1 und 2(2013/14)

Diese Serie sticht aufgrund ihres direkt-bösartigen und realistisch-detaillierten Bezugs auf die us-amerikanische Politik  aus der Serienlandschaft heraus. Es gibt eine klare Hauptfigur, die von Kevin Spacey verkörpert wird. Er hält als Frank Underwood der us-amerikanischen politischen Realität den Spiegel vor. Er wendet sich selber oft direkt an die Zuschauer. Währenddessen macht die Handlung einfach eine reflexive Pause. Er bildet zusammen mit seiner sozial-engagierten, aber eitlen Ehefrau ein machtbesessenes Duo, das von Anfang keine Kinder wollte, sondern in der Öffentlichkeit etwas (mit-)bestimmen.

Den Hintergrund bildet das Politikgeschehen in Washington: der Kongress im Kapitol und die Regierung im Weißen Haus. Underwood ist ein sogenannter Major Whip der Demokratischen Partei. Er ist der Abgeordnete, der die Partei auf Kurs hält und im Notfall abtrünnige Abgeordnete der eigenen Partei unter Druck setzt. Wenn er übergangen wird, ist er bereit zur Revanche. Er verliert seine Ziele nur selten aus den Augen und kennt als gewiefter Parteistratege zahlreiche auch unkonventionelle (und kriminelle) Methoden, um zu seinen Ziele zu gelangen. Wenn er die Kontrolle verliert und er selbst das Opfer werden kann, wird es gefährlich für andere. Dann besitzt er wenig bis gar keine Skrupel.

Zwei Hauptprobleme besitzt diese Serie. Zum einen ist die Perspektive von Underwood so vorherrschend, dass die anderen Charaktere eher zu seinem Schmuck existieren als ein Eigenleben führen zu dürfen. Seine aufstrebende Pressemätresse ist jung und willig. Er glaubt, er kann es sich erlauben. Er besitzt Erfahrungen im Benutzen von Menschen mit Karrierewillen. Er baut Politiker auf, bindet sie an sich und schafft sich so – wenn möglich – die Rückendeckung für morgen. Fast nichts handhabt er ohne Hintergedanken. Die große Erpressung folgt automatisch der kleinen Erpressung und muss schon gar nicht mehr ausgesprochen werden.  Mitgefangen mitgehangen.

Es wird langweilig, wenn man weiß, dass Underwood schon weiß, was die nächsten Schritte und  die Alternativen sein werden und welche Spielräume noch bleiben. Man ist nicht nur ein Komplize wie in Breaking Bad, wo man mit Walter White sen. die Grenzen der bürgerlichen Banalität überschreitet, sondern Mephistopheles selber wünscht, dass man ihm bei der Arbeit zuschaut.

Das andere Problem betrifft den Erzählstil. Die Serie achtet darauf, dass Inhalt und Form den gleichen Raum einnehmen. Doch der Inhalt sollte so gut wie den ganzen Raum einnehmen. Die Form bestimmt nur das Verhältnis des Inhalts zu allem, was nicht zu ihm gehört, also praktisch zu allem anderen, was sich in engerer oder weiterer Entfernung zu ihm befindet.

In der ersten Staffel von “House of Cards” gibt es zwar Spannungsbögen, ein Anziehen und Lösen der Spannungsschraube, aber alles wird in ungefähr gleiche Zeiteinheiten gepackt und in einer vordenkerentmündigenden Weise verabreicht, sodass die Spannung im Ozean der Erwartbarkeit untergeht und für den Zuschauer als “der Inhalts-Schatz” apostrophiert wird, der erst für zukünftige Generationen unter den Wasser-”Form”-bergen zu heben wäre.

Die Konsequenz ist eine gewisse Gleichgültigkeit, denn wenn die Serienverantwortlichen die gleiche Kontrolle über den Serieninhalt haben wie Underwood über die Vorgänge in den oberen Etagen der us-amerikanischen Politik in einer Serie, deren Inhalt wir nicht ändern können, wie sollen wir die Serie ändern, die Realität des parlamentarischen System als Grundlage der Selbstbeteiligung begreifen, mit der wir die Anklagen der Serie nach der Überwindung der Missstände ihrer aktuellen Relevanz berauben und die Serie gerade dadurch rühmen?

Nein, die Serie verurteilt uns zum zukünftigen Tauchen. Beide Probleme vereinigen sich in der Sicht der vorgeführten Gestaltungsmöglichkeiten: das Privatleben des Frank Underwood findet in aller Öffentlichkeit statt. Sein Privatleben ist die medienbeobachtete Parteipolitik. Macht als Liebeskompensation. Die öffentliche Liebe als Grund der intimen Zuwendung. Wenn kein anderer es macht, muss Underwood auch selbst aufräumen. Seine Winkelzüge leben davon, vor der amerikanischen Öffentlichkeit geheim gehalten zu werden. Für uns liegt sein Privatleben nur anscheinend offen, denn der Teufel weiß besser über uns Bescheid als wir über ihn.

Bei Beginn der zweiten Staffel von House of Cards muss gleich ein Umarrangement vorgenommen werden, denn sonst würde die Hauptfigur zu stark gefährdet werden. Zu nah würden ihm die Enthüller kommen. Die Macht ist wieder klar verteilt. Nebenstränge gewinnen teilweise eine neue Selbständigkeit und die Serie zeigt eine neue Seite, die mir nicht gefällt. Wenn Serienschreibern die Tinte ausgeht, werden den Figuren homosexuelle Neigungen angedichtet. Irgendwie unangenehm und wenig passend !

Die Serie wird ein wenig homo- und bisexuell, als ob die “Zeichen der Zeit” den Menschen unentrinnbar prägen wie die faktische Einwanderung als Argument für den irreversiblen Verlust der eigenen Identität genommen und ein Volk so seiner Selbstbestimmung beraubt wird: weil man ein Quantum an Einwanderung zugelassen hat, sei man identitär ein Einwanderungland. Anstatt für die Freiheit zu kämpfen, soll man sich in die Faktizität einer falschen Vergangenheit ergeben.

Eine verlorene Schlacht ist jedoch noch kein verlorener Krieg. Auch für die (Positions-)Besatzer nicht und Frank Underwood ist ein Meister im Drehen des Blattes. So wie die Muslime sich nach den Anschlägen gegen Charlie Hebdo die Demos unter solidarischen Bekundungen mit den Opfern unter den Nagel gerissen haben und eine Integration mit der Dampfwalze betreiben, nicht nur in die Institutionen einsickern wollen, sondern sich für ihre Führung nur durch Absichtserklärungen  zu qualifizieren gedenken. Politik ist so gleich. Die Probleme sind so übersetzbar wie die Sprachen.

Je mehr die Aufklärung von Underwoods Taten aufgeschoben wird und er den willensschwachen Präsidenten an der Nase herumführen darf, desto näher scheint das Unausweichliche zu rücken: ja, es gibt keinen anderen.  Gerade der, der das System in seiner ganzen Mangelhaftigkeit repräsentiert, muss es auch führen. Eine Katastrophe erscheint unvermeidbar, das System von innen nicht reformierbar.

Insofern wäre Underwood der richtige Leader. Doch das Gelände ist entscheidend. Wieviele “Lemminge” werden mit draufgehen? In der Gewaltenteilung des us-amerikanischen Systems kommt dem Volke eine hohe Bedeutung zu. Wenn der Präsident also der einzige “Lemming” wäre, wird das Volk aus Angst nicht folgen. Und wenn das “Folk” nicht volkt, wird der Oberlemming vielleicht ein “Basiscamp” vor dem Abgrund einrichten, den man hinter der Anhöhe nicht wahrnimmt. Die Weite des amerikanischen Himmels, wie sehr kann man ihr trauen?

(wird fortgesetzt und überarbeitet)